Gibt man sich als Trambahnfreund zu erkennen, wird man in München unweigerlich mit dem Lied vom Weiß Ferdl konfrontiert. Auch im MVG-Museum ist das Lied zu hören – wenngleich nur in einer etwa 30-sekündigen Dauerschleife, um die hohen Gebühren für die GEMA zu umgehen. Humor- und liebevoll werde doch die Münchner Trambahn in „Ein Wagen von der Linie 8“ dargestellt, bekommt man immer wieder zu hören. Wikipedia konstatiert, dass der „Gesangsvortrag“ „zur Hymne vieler Trambahnfreunde wurde“.
Dabei ist das Lied entgegen der landläufigen Meinung keine Liebeserklärung, sondern eine Hassbotschaft in vier Strophen.
Nach rund 75 Jahren andauernder Verklärung ist es Zeit für eine nähere Betrachtung.
Mehr als nur Granteln
Dass das Lied auch überregional bekannt ist, ist dem unter anderem dem hier vermittelten Selbstbild des grantelnden Münchners geschuldet. Allerdings verkommt das Granteln zur Misanthropie. Weiß Ferdl lässt seinen schildernden Fahrgast auf alle schimpfen, die nicht seinem Bild entsprechen.
Es geht gegen Junge, die sich erdreisten, ihre Stimme zu erheben…
A so a schwindsüchtiges Zigarettenbirschal, a scho as Mei aufreißn, i bin a oider Münchner Bürger, der 50 Jahr seine Steiern und Abgabn zahlt hat. Da hert sich doch alles auf!
gegen Frauen, die sich auch in schlechten Zeiten schick machen:
Host Sie gseng, mit de roten Fingernägel Die Menschen, die im Wagen drin Unds Mei ogstricha, da graust´s ma scho.
Fairerweise muss man dazu sagen, dass die Angesprochene durchaus Kontra gibt.
A liaba no a ogstrichas Maul, als wie a so a bissigs!
Natürlich bekommt auch das vermeintliche Lieblings-Feindbild des Münchners sein Fett weg:
Sie Lümmel, Sie! A Preiß a no, jetzt wird´s recht!
Das Personal, in dem Fall der Schaffner, wird bestenfalls rustikal dargestellt:
Was? O Gott o Gott! Mich trifft der Schlag! Gut, na bleibn´s sitzn bis zum Nordfriedhof
Nicht zuletzt kommt die Trambahn als Verkehrsmittel auch nicht gut weg.
Weiß blau, fährt ratternd durch die Stadt
Vermutlich war der Fahrkomfort der alten Bahnen auf gerade mühsam wieder hergerichteten Gleisen ausbaufähig. Doch gerade diese Textzeile rettete sich über Jahrzehnte in die mediale Darstellung: die Trambahn als als veraltetes Verkehrsmittel. Bis vor rund zehn Jahren kam fast kein Zeitungsartikel ohne die „ratternde Tram“ aus.
Eine Darstellung, die sich für den Erhalt und Ausbau der Trambahn Engagierende bis heute gerne ein mitleidiges Lächeln einbringt, bringen sie ihre Argumente vor, auch wenn das inzwischen viel seltener geworden ist.
Nun mag das Fahren in überfüllten Bahnen kein Spaß sein, aber so schlimm, wie es Weiß Ferdl erlebt haben will, wird es auch in den ersten Nachkriegsjahren nicht gewesen sein. Das Volkslied ist eine satirische Überspitzung in gesungener Form und richtet sich gegen die Obrigkeit. Aber Weiß Ferdl missbraucht seine Befindlichkeit für diese musikalische Gattung und erhebt sich über die Menschen, mit denen er sich zwangsweise abgeben muss und die gefühlt unter ihm stehen.
Missverstandener Mythos bis heute
Wie dieses Lied zu einem derart falsch gedeuteten Mythos werden konnte, ist schwer zu erklären.
Das Baureferat distanzierte sich 1964 in ihrer Broschüre zur Verlängerung der Linie 8 nach Fürstenried West im ersten Satz von dem Lied:
Die Linie 8 entwickelt sich zu einem Musterkind der Straßenbahnfamilie, ganz im Gegensatz zu ihrer düsteren, von Weiß Ferdl besungenen Vergangenheit.
Im weiteren Verlauf werden die Kunstbauten hervorgehoben, die auf der Linie einen schnellen, kreuzungsfreien, also auch nach heutigen Kriterien modernen ÖPNV ermöglichen.Diese Verlängerung steht exemplarisch für den konsequenten Ausbau des Streckennetzes und die Modernisierung des Fuhrparks nach den Jahren des Wiederaufbaus. In ihrer Blütezeit verband sie als Radiale zwischen Hasenbergl, Stachus, Harras und Fürstenried West den Norden mit dem Südwesten der Stadt in dichtem Takt und mit den modernsten Fahrzeugen.
Aus verkehrshistorischer Sicht wurde sie erst in diesen Jahren zur Legende.

Allerdings pflegten die Verkehrsbetriebe ab den 1970er Jahren den Mythos der Trambahn als Verkehrsmittel der Vergangenheit selbst. Die letzte Einstellung einer Trambahnlinie, die bombastisch mit Einsatz von Altwagen gefeiert wurde, war 1975 die der Linie 8. Ein durchaus symbolischer Akt, denn mit der Unterbrechung der Nord-Süd-Verbindung über den Stachus sollte die geplante Einstellung der Münchner Trambahn eingeleitet werden. Zum Glück kam es mit viel bürgerlichem Engagement anders.
Die 1980 eröffnete U8 (Olympiazentrum – Hauptbahnhof – Neuperlach Süd) griff die klassische Nord-Süd-Verbindung auf. Allerdings nur für acht(!) Jahre: dann wurde sie in U2 umbenannt. Die spätere MVG erinnerte an Münchens einst längste Trambahnlinie, als sie seinem Kundenmagazin für einige Jahre den Namen „Linie 8“ gab.
Sogar die Gastronomie bediente sich der Linie 8. So gab es in den den 1990er Jahren eine Kneipe mit dem Namen – am Max-Weber-Platz, den sie nie bediente. Da hatte der Wirt wohl nicht aufmerksam zugehört…
Fahrgast wieder Willen
Letztlich muss man annehmen, dass „Ein Wagen von der Linie 8“ als Hommage auf die guade, oide Zeit verstanden wird. Missverstanden wird, denn alt war die Zeit aus heutiger Sicht bestimmt, aber gut war sie für die Bevölkerung, die nach 12 Jahren Schreckensherrschaft mit dem Wiederaufbau beschäftigt war, bestimmt noch nicht. Noch schlechter war sie aus der Sicht des Weiß Ferdl, der sich schwer tat, mit den Veränderungen und damit für ihn verbundenen Entbehrungen zu arrangieren.
Denn der Weiß Ferdl hatte jedenfalls nie die Absicht, eine Hymne auf die Trambahn zu singen. Im Zuge der Entnazifizierung zog die amerikanische Miltärregierung 1946 seinen Mercedes ein. Der als Mitläufer des Nazi-Regimes verurteilte Volkssänger war fortan auf die Fortbewegung mit den öffentlichen Verkehrsmitteln angewiesen.
Die in den ersten Nachkriegsjahren übervollen Trambahnen müssen ein Kulturschock für ihn gewesen sein, der es gewöhnt war, auf vergleichsweise leeren Straßen mit dem Auto zu fahren.
Dass er damit „seine Fahrkarte in die Unsterblichkeit“ löste, wie es Michael Kubitza in seiner Würdigung anlässlich seines 60. Todestags treffend formulierte, gehört zu den vielen ironischen Pointen, die Zeitläufte bieten.
Eigentlich muss eine heute bekannte Band eine echte Hymne auf die Trambahn singen, damit das Hasslied vom Weiß Ferdl dort landen kann, wohin es gehört: in die Mottenliste der Musikgeschichte.
Der Text erschien im „Tram-Journal“ 2/21. Es ist über den Shop der Freunde des Münchner Trambahnmuseums e. V. oder an Öffnungstagen im MVG Museum zu erwerben.
Quellen:
Vita Weiß Ferdl auf Wikipedia
Liedtext
Landeshauptstadt München, Baureferat: „Großstadt in Planung und Ausbau: Bauten für die Straßenbahnlinie 8“; Informationsbroschüre, Oktober 1964
Michael Kubitza: „60. Todestag von Weiß Ferdl: Geh, Leit, lasst‘s doch Leit naus“ (BR, 2009)
Gott sei Dank hat damals die amerikanische Militäruntersuchung den Weiß Ferdl geprüft, nur als harmlosen Mitläufer eingestuft und kaum bestraft. So kann man auch heute noch mit gutem Gewissen die Lieder des reuigen Sünders hören ! (solang es keine neuen Erkenntnisse gibt)