Private Dancer

Ich kann nicht tanzen. Es gibt wenige Momente, wo es mich in den Beinen juckt und ich mich so bewege, dass es unbedarfte Augen für Tanzen halten können. Oder ich mich so fühle, als tanzte ich. Aber die meisten Augen sind nicht unbedarft.
Auf einer legendären Hochzeit – sie liegt leider lange zurück, aber das Paar ist bis heute sehr glücklich – beschied mir eine bessere Tänzerin: „Du tanzt nicht, Du hüpfst!“ Ich empfand es nicht als Beleidigung, und sie formulierte es auch nicht so. Wir kannten uns vorher nicht, aber wir waren uns von Anfang sympathisch und es entstand an diesem Tag so etwas wie Vertrautheit. Und da sagt man sich auch Dinge, die nicht so angenehm sind. Und ich tanzte, äh, hüpfte weiter.
Ob sie tanzte oder hüpfte, weiß ich nicht. Ich gehe davon aus, dass sie tanzte. Denn sie wusste es besser! Wir tanzten uns auch an! Naja, sie tanzte mich an, ich hüpfte sie an. Es war eigentlich auch nicht wichtig.
Wir tanzten und hüpften bis in den frühen Morgen. Wahrscheinlich tanzten beziehungsweise hüpften wir auch einen Schieber. (Sagt man das heute noch?) Es wurde ja auch Robbie Williams gespielt. Es war nicht nur für das zu feiernde Paar eine rauschende Nacht.


Entlang der Landstraße gingen wir ins Hotel. Sie hatte wohl ihre Schuhe kaputtgetanzt.
Wir sahen uns beim Frühstück nach einer Mütze voll Schlaf noch einmal. Danach nie wieder. Es kam nicht dazu.

Ich hatte diese Begegnung nicht vergessen, jedoch weit ins Hinterstübchen geschoben.
Sie fiel mir wieder ein, als ich vorhin vom Tod Tina Turners erfuhr. Dabei wurde meiner Erinnerung nach auf der Hochzeit nicht mal ein Song von ihr gespielt. Hatte der ansonsten hervorragende DJ sicher vergessen.

Private Dancer war ein Song, den ich sehr mochte. Ich hörte ihn rauf und runter. Vielleicht war es der erste englischsprachige Song, den ich bewusst wahrnahm. Ich war schon immer ein Spätstarter.
Es war die Zeit, als Tina Turner als „Rock-Röhre“ reüssierte und Stadien füllte. Ein fürchterlicher Ausdruck. Er verkennt auch indirekt, welch schweren Weg sie gehen musste, um sich von ihrem Ex-Mann zu distanzieren. Dass der Song, der auch dem Album dem Namen gab, sexuelle Ausbeutung und die damit verbundene Leere beinhaltet und so erfolgreich wurde, kann man wahrscheinlich nur mit der Widersprüchlichkeit von Biographien erklären. Man kann vieles hinterfragen, aber nicht alles erklären. Sie hat nach außen hin wohl ihren Frieden damit gemacht und eine beeindruckende Karriere gemacht, die man sich spätestens heute genauer anschauen sollte.
Irgendwann hatte ich ihn satt und hörte ihn lange nicht mehr. Vor ein paar Jahren stieß ich eher zufällig wieder auf ihn und war begeistert wie beim ersten Mal. Mancher Zauber verfliegt nie oder fliegt einem wieder zu.

Als der Tod von Tina Turner vorhin seine Runde machte, fiel mir Private Dancer als erstes ein. Diese Ruhe, die das Lied trotz seines Inhalts ausstrahlt, fasziniert mich. Dazu diese Stimme, die Instrumentierung – alles wohltemperiert.
Tina Turner wird da oben sicherlich Tanzpartner*innen finden, die sie nicht langweilen und ausbeuten.

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Vielen Dank!

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3 Gedanken zu “Private Dancer

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