Tatortschnelldurchlauf

Ich habe das Besprechen von Tatorten in den letzten Monaten arg schleifen lassen. Es haben sich viele Folgen angetürmt, von denen ich einige nicht mal gesehen habe. Die letzten Sechs gibt’s nun im Schnelldurchlauf, beginnend mit dem zuletzt gezeigten.

888. Tatort: „Happy Birthday, Sarah!“ (Lannert & Bootz/SWR)
Das hätte ein solider Tatort werden können. Der Plot um einen ermordeten Sozialarbeiter in einem sozialen Brennpunkt war schlüssig und nicht so ambitioniert verschwurbelt, wie er einem gerne mal am Sonntag Abend serviert wird. Auch die Hauptfigur Sarah (gespielt von Ruby O. Fee) wirkte glaubwürdig.
Aber in welcher Welt leben Redakteure, wenn sie den Film, der eine 13-Jährige in den Mittelpunkt stellt, mit Rolling Stones, The Prodigy, Creedence Cleerwater Revival und Aerosmith untermalen? Leider waren auch die Dialoge wieder fern jeglicher authentischen Jugendsprache, was das Vergnügen minimierte. Das anstrengende Privatleben des Kommissars Bootz darf in der nächsten Folge gerne reduziert und weniger klischeehaft (bei Papa dürfen die Wände bemalt werden) dargestellt werden. (4,5/10)

887. Tatort: „Mord auf Langeoog“ (Falke & Lorenz/NDR)
Den Milchtrinker Falke in seinem zweiten Fall auf die Insel zu schicken, war keine so gute Idee. Der Charakter hätte noch den einen Mord in vertrauter Umgebung gebraucht, um konturenreicher zu sein. Auch keine gute Idee war es, Nina Kunzendorf wieder als Ermittlerin einzusetzen. Trotz Brille und hervorragendem Schauspiel sind die Erinnerungen an Conny Mey noch zu frisch. Und die Geschichte zog sich arg. Das war zu viel Ebbe.
So blieben nur sehr schöne Bilder einer schönen Insel und ein herrlich zurückhaltend aufspielender Sebastian Schipper übrig. (4,5/10)

886. Tatort: „Eine andere Welt“ (Faber & Böhnisch/WDR)
Diesmal war es ein Waschbecken auf dem Präsidiumsabort, das der am Rande des Wahnsinns agierende Faber zertrümmerte. Seine Kollegin Böhnisch wäre ihm auch fast zum Opfer gefallen, als die Grenzen zwischen Nachstellen des Mords und Streit arg verwischten. Das war großes Fernsehen von Jörg Hartmann und Anna Schudt! Die Nachwuchsermittler Dalay und Kossik nervten weniger als in den ersten beiden Folgen und hatten sogar komische Momente.
Trotz der umfangreichen Vergangenheit des Kommissars wurde die Geschichte um eine junge Frau, die zwischen Plattenbau und High Society lebte und diesem Widerspruch zum Opfer fiel, schön und ausführlich dargestellt. Dazu gab es knackige Dialoge. Einzig die hektische Kamera, die inzwischen Standard geworden scheint, störte ein wenig. (8/10)

885. Tatort: „Kalter Engel“ (Funck, Schaffert & Grewel/MDR)
Wenn die Öffentlich-Rechtlichen Jugend versprechen, ist Vorsicht geboten. Wenn der MDR, dem wir unvergessene Fernsehabende mit Helene Fischer und Achim Menzel verdanken, ein junges Team ermitteln lässt, ist Gefahr im Verzug. Fahren Redakteure und Autoren eigentlich nie Bus oder Bahn, daß sie nicht mitbekommen, wie junge Menschen wirklich sprechen?
Am meisten entsetzt mich immer noch, daß dieser Schund – irgendwas mit Drogen – von Thomas Bohn, dem wir u.a. die brillante Folge Tod aus dem All verdanken, geschrieben und inszeniert wird. Zu allem Überfluss wird Alina Levshin auch noch als altkluge Praktikantin zwischen halbstarken Kommissaren vergeudet.
Ich fürchte den Tag, an dem der von ARD und ZDF geplante Jugendkanal auf Sendung geht. Dann lieber Til Schweiger oder Alarm für Cobra 11. (1/10)

884. Tatort: „Aus der Tiefe der Zeit“ (Batic & Leitmayr/BR)
Dominik Grafs neuester Film glänzte mit gewohnter Dichte, griff Münchner Themen (Gentrifizierung!) auf und zeigte die Stadt, wie Stadt heute viel zuwenig gezeigt wird in der inzwischen unübersichtlich gewordenen Anzahl an Ermittlerteams und ihren Orten.
Dennoch überdrehte der Meister des Polizeifilms. Es mag in einem Zirkus verrückter zugehen als anderswo, aber das Drumherum mit Korruption in der Verwaltung strengte mehr an, als daß es wirklich begeistern konnte. Dem hervorragenden Ensemble (u.a. Erni Mangold und Meret Becker) gelang es jedoch, ihre Figuren nicht zu lächerlichen Marionetten verkommen zu lassen. Batic und Leitmayr zeigten, daß sie keinen nervenden Kurzzeitassistenten brauchen, weil sie sich selber noch etwas zu erzählen hatten und ermitteln mussten.
Für einen Graf war es dennoch zu wenig, für einen gerade noch guten Tatort reichte es allemal. (7/10)

883. Tatort: „Die chinesische Prinzessin“ (Thiel & Boerne/WDR)
Prof. Boerne geriet wieder mal in Kalamitäten, weil er wohl der letzte war, der die erstochene Prinzessin, Künstlerin und Dissidentin Sogma nach ihrer Vernissage lebend sah. Thiel musste ihn aus dem Sumpf, in dem natürlich auch um Politik und Verschwörung badeten, ziehen.
Boerne war’s natürlich nicht, und die diplomatischen Beziehungen wurden nur kurzzeitig beeinträchtigt. Das Zwerchfell wurde wenig beansprucht. (4,5/10)