27er, Juristen und Rainer Langhans

Die ganze Woche besteht für einen Trambahnfreak, wie ich einer bin, daraus, sich vor Orten anzuschauen, was das Geschehen so bietet. An manchen Stellen ist es sehr zäh, an manchen Stellen geht es mit einigen Tagen Anlauf plötzlich sehr flott.

Gestern machte das sehr wenig Spaß. Am „Programm“ lag es nicht. Es war einfach nur unheimlich greislig. Der Schnee in der Stadt verwandelt sich in ein grau-braunes Batz-Streugut-Gemisch (unter teilweise gefährlicher Eisschicht!), als wären wir in Köln oder Berlin. Dazu wehte ein fieser Wind. Meine Hände waren sehr schnell eiskalt und hätten selbst eine Watschn nur schwer hinbekommen. Ich robbte mich vom Hauptbahnhof zum Sendlinger Tor vor. Vielleicht kommt ja eine Trambahn. Das Gleisbett in der Sonnenstraße und Haltestellenanlage sah recht vielversprechend aus.

Und siehe da! Nach 10 Minuten fuhr eine Tram vom Stachus kommend in die Schleife! Natürlich habe ich sie photographiert und umgehend in Social Media geworfen. Man zweifelte die Aktualität an. Immerhin wurde mir nicht vorgeworfen, das Bild mit KI erstellt zu haben. Ein paar Minuten gesellte sich noch eine Tram dazu. Und noch eine! Aus einer stiegen sogar echte Fahrgäste aus!
…und dann fuhr mir der erste 27er ab Sendlinger Tor vor der Nase weg! Wie früher, vor dem JahrhundertJahrtausendschnee!

Den nächsten nahm ich und fuhr das erste Mal seit Oktober wieder mit der Trambahn durch die Maxvorstadt nach Schwabing. Es ruckelte noch ein wenig und der umsichtige Fahrer wies an jeder Haltestelle darauf hin, dass Schneehaufen vor den Türen liegen könnten.

Am Karolinenplatz schob ein Unimog der MVG mit Namen Gmeiner Yeti Schneemassen von der Haltestelle weg. Zur Feier des Tages fuhr ich bis zum Petuelring. Was man als „einheimischer Tram-Nerd“, wie mich die Kaltmamsell heute früh nannte, so macht.
Da fällt mir ein, dass ich bei einer von Patrick Gruban organisierten Nerd-Night vor über 10 Jahren in der Niederlassung über die Geschichte von Männern in Röcken referierte. Kann man mehrfacher Nerd sein?

Vor der Rückfahrt, als der Fahrer überprüfte, ob die Trambahn noch genügend Bremssand hat, entspann sich ein Gespräch. Ein einsteigender Fahrgast schimpfte über den Schneehaufen, den er erklimmen musste. Der eigentlich gutgelaunte Fahrer antwortete, dass er sich auch darüber freuen könne, dass die Trambahn wieder fahre. Eine Fahrgästin klinkte sich sofort ein und betonte ihre Freude. Der Fahrer bedauerte, dass der Betrieb über Jahre hinweg kaputt gespart wurde und das ursächlich dafür sei, dass die Trambahn so lange nicht fahren konnte. Früher habe es Schneepflüge und vieles andere gegeben, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Ich erwähnte, dass wir im MVG Museum einen schönen Schneepflug zeigen. Denn dürfe doch niemand mehr fahren, weil Juristen mit ihren Vorschriften alles verhindern, erklärte der Fahrer. Ich warf noch „Und BWLer!“ ein. Nickend ging der Fahrer nach vorne.

An der Herzogstraße steig ich aus, um im Rewe-Palast Einkäufe zu erledigen.
An der Kasse erzählte ich meinem Stammkassierer Jürgen, dass der 27er wieder fahre. Er rief sogleich seine Kollegin herbei, die seit Tagen vom Petuelring in die Arbeit laufe. Sie konnte ihr Glück kaum fassen und fragte zweimal nach. Ich bestätigte ihr zweimal, mit der Trambahn gekommen zu sein. Es ist schön, auch mal der Botschafter guter Nachrichten zu sein.
Danach kamen Jürgen und ich (Männer über 40!) auf die Prostata zu sprechen und er leitete auf Rainer Langhans, der Prostatakrebs hat, über. Ob ich ihn in letzter Zeit gesehen habe. Ich verneinte, es sei schließlich nicht gerade das ideale Wetter zum Tischtennisspielen im Luitpoldpark. Für Jürgen ist es ein guter Tag, wenn er Rainer Langhans sieht. Ob sie Langhans kenne, fragte er die ältere Kundin nach mir. „Ja, denn kenn i scho. Aber i mog an Schornsteinfeger liaba ois den Langhans.“
Mein Lachen konnte man im ganzen Markt hören.

Der Vollständigkeit halber möchte ich den über Nacht prominent gewordenen Fahrdrahtkontrollwagen, der gestern in Schwabing seine Aufwartung machte, von hinten zeigen.

3 Gedanken zu “27er, Juristen und Rainer Langhans

  1. Multipler Nerdismus, aber sicherlich.
    Beim Heimfahren mit dem Bus erlebte ich gestern eine weitere überraschende Folge des Jahrtausendschnees: Bei Gelenkbussen waren Ein- und Ausstieg durch die hintere Tür nicht möglich, weil an Haltestellen nur auf Länge einfacher Busse geräumt war. Immer wieder Slapstick mit Leuten, die sich hinten zum Ausstieg bereit machten, nach Türöffnung vor einem Schneeberg standen und hektisch weiter vor wetzten.

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