Schlange vorm Kaufhof

Eigentlich wollte ich am Donnerstag durch das entstehende Neufreimann (ich hätte das neue Viertel ja Freifrau genannt) auf dem Areal der einstigen Bayernkaserne spazieren, aber ich kam nicht weit. Zumindest von der Heidemannstraße aus ist das Areal großräumig eingezäunt. Da pünktlich zum geplanten Spaziergang Regen mit Wind einsetzte, machte ich kehrt und fuhr in die Stadt. Dass es kein besseres Wetter als dieses gibt, um eine Großbaustelle im Norden zu inspizieren, ist eine andere Sache.

Große Kiesfläche inmitten zweier Baustellenstraßen mit Blick in den Süden auf entstehende Neubauten bei Regen.

Wenigstens konnte ich den Panoramablick auf die zukünftige Trambahnstrecke genießen, die dereinst gebaut und von Schwabing Nord über das neue Viertel zum Kieferngarten führen wird.

Hinter einem Bauzaun ist eine große, auf Betonschwellen verankerten Bautafel, die auf den Bau des Schulstandortes Nord Neufreimann hinweist. Sie ist umgestürzt. Rechts im Bild die im Bau befindliche Schule mit einigen Kränen.

Und dass Schule eine riesige Baustelle ist, drückt dieses Bild sehr gut aus.

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U-Bahnhof Marienplatz Fahrtichtung Sendlinger Tor. Die Wnd hinter dem Gleis (rechts) ist oarnge gestrichen. Der Bahnsteig ist - wie gehabt - orange gekachelt. Wenige Fahrgäste.

Dass der ÖPNV eine einzige Baustelle ist, kann man an vielen Stellen in der Stadt erfahren. Der vor 20 Jahren aufwendig sanierte und erweiterte Marienplatz glänzt inzwischen auch auch als Provisorium. Angeblich wegen der 2. Stammstrecke, deren Eröffnung am St. Nimmerleinstag, derzeit auf 2037 terminiert, ich vielleicht erleben werde. Aber die Fahrgastberieselung funktioniert einwandfrei!

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Als ich aus dem Untergrund kroch, war ich sehr überrascht. Es war 9:55 Uhr und vorm Kaufhof warteten Menschen auf Einlass!

Ca. 30 wartende Menschen in der Arakde vom Kaufhof am Marienplatz vor dem Eingang Kaufinger Straße.

Das fand ich interessant, weil permanent ein Abgesang auf Kaufhäuser angestimmt wird. Teils zurecht, teils zu unberechtigt. Ich bin überzeugt davon, dass Kaufhäuser gewinnbringend betrieben werden können, wenn sich die Manager auf die Stärken eines Kaufhauses konzentrieren. Aber wenn ich für ein Hemd über ein Stockwerk verteilte Markenstores laufen muss, anstatt sie konzentriert auf einer Fläche zu finden, lasse ich es. Wenn ich Schokolade in der Strumpfabteilung, nicht jedoch in der benachbarten Lebensmittelabteilung bezahlen kann, überrascht es mich nicht, dass viele Menschen Kaufhäuser meiden und lieber im Internet bestellen.

Die Lebensmittelabteilung im Kaufhof am Marienplatz ist übrigens immer noch gut sortiert. So kaufe ich dort sehr gerne Käse ein.

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Sendlinger-Tor-Platz, Blickrichtung Sendlinger Tor. Bei Regen bietet sich dem Photographen eine graue, rau asphaltierte Fläche. Rechts große runde Tröge, auf denen man sitzen kann, mit Bäumen.

Die Baustelle am Sendlinger Tor ist zumindest an der Oberfläche abgeschlossen. Ich finde, dass das Wetter sehr gut mit der Gestaltung korrespondiert.

Wie so ein Star

Allmählich glaube ich, dass ich erst so halbwegs im neuen Jahr ankomme, wenn das Wetter mitspielt. Mitspielen bedeutet: Sonne.
Ich weiß, dass der Regen wichtig ist und traue mich schon gar nicht mehr, mich über ihn zu beklagen. Aber so weit wie Karl Valentin, mich über den Regen zu freuen, weil es auch regnet, wenn ich mich nicht freue, bin ich noch nicht. Außerdem geht der Regen zumeist mit einem fiesen Wind einher. Und der macht mich fertig. Ich bin kein Kind der Küste.
Alternativ nehme ich Schnee. Gerne auch so viel wie im vergangenen Dezember. Ich bin ja auch nicht auf eine funktionierende Trambahn angewiesen.

München, Hofgarten. Bei vorfrühlingshaften Tmeperaturen und Sonnenscchein spielen zwei Männer Boule.

Diese Woche verbrachten Menschen bei den fast schon frühlingshaften Temperaturen ihre Mittagspause im Freien. In München ist das auch ein willkommener Anlass, seine schicken Sonnenbrillen auszuführen. Das ist wahrscheinlich ein fürchterliches Klischee, weil vermutlich in anderen Städten in der noch tief stehenden Januarsonne Menschen auch Sonnenbrillen tragen. Aber ich war im Januar noch nicht in anderen Städten und kann es also nicht beweisen.

Ich bekam Lust auf Eis. Aber die Italiener*innen brüten bei wärmeren Temperaturen noch über ihren Rezepturen, mit denen sie uns hoffentlich bald verwöhnen. Die Diele bei uns am Platz kündigt noch kein Datum zur Wiedereröffnung an.

München, Orleansplatz. Ein Mann mit amerikanisch-indigener Gwandung und entsprechendem Kopfschmuck flöttet bei Gegenlicht vor stehenbleibenden Passant*innen.

Auch die flötenden Straßenmusikant*innen sind wieder in der Stadt. Ich bilde mir ein, sie lange nicht gehört zu haben. Ob’s an Corona lag? Der abgebildete Musiker ist nicht Willy Michl! (Und auch nicht Rainald Grebe.)

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Beim Flanieren – in München geht man nicht profan spazieren – wurde ich wieder einmal angesprochen. In der Maximilianstraße, durch die man nur im Zustand vollkommener Dekadenz oder beißender Ironie gehen kann, knipste ich eine Trambahn, als mich ein anderer Photographierender, ob er mich photographieren könne. Er finde mein Outfit cool. Für die Straße standesgemäß konnte ich mich nicht in Pose schmeißen. Er wollte mir die Bilder zeigen, um sich zu vergewissern, dass sie für mich passen. Ich winkte ab: „Du musst damit leben“, gab ich ihm zu verstehen.
Ein paar Stunden später äußerte am Ostbahnhof noch jemand einen Photowunsch. Er wollte ein gemeinsames Bild mit mir. Wir sprachen im Haltestellenhäusl cornernde Jugendliche an. Die verstanden wahrscheinlich nicht recht, warum sie uns abknipsen sollten, aber sie vergaßen Renitenz und Anti-Haltung und taten uns den Gefallen. Diesmal mit Trambahn im Hintergrund.
Ich weiß nicht, in wie vielen Photoalben weltweit ich verewigt bin und in WhatsApp-Gruppen geteilt wurde. Es ist mir egal. Ich bewege mich im öffentlichen Raum. Aber gefragt zu werden, finde ich weitaus angenehmer.
Nach dem zweiten Photowunsch fühlte ich mich für ein paar Sekunden wie so ein Star. Und war unmittelbar danach sehr, keiner zu sein. Ich würde spätestens nach dem fünften Selfiewunsch ausfällig werden und mich dem Ruf, ein arroganter Kerl zu sein, aussetzen.

Tags zuvor wurde ich um eine „Expertenmeinung“ zu einer bestimmten Strumpfhose gebeten. Ein paar Stunden wurde ich als einer von zwei Expert*innen zur Sortierung von Strumpfhosen gefragt.
Das gefällt mir. Frauen äußern sich vermehrt zu Fußball, ich zu Strumpfhosen und Röcken.
Weiter so! Dann wird es vielleicht doch noch etwas mit uns.

Bayern ist Weihnachtsland!

Das hat der bayerische Ministerpräsident, für den Bayern zusammenhanglos Autoland, Bildungsland, Technologieland oder einfach nur Landland ist, zwar nicht gesagt, aber unter Kreuz und Baum wird er sich das bestimmt denken.
Währenddessen weihnachtsanspricht der Bundespräsident, dass „wir Menschen brauchen, die sich einbringen“. In einem Land, das ohne die vielen Ehrenamtlichen bei den Tafeln (die gestern übrigens fast unbemerkt den Notstand ausriefen), in der Geflüchtetenhilfe, in der Altenpflege, etc. schon komplett gegen die Wand gefahren worden wäre, weil Politik nicht nur in diesen Bereichen seit Jahren versagt.

Aber man soll ja nicht nur negativ sein. Heißt es immer. Es fällt schwer. Aber ich wurde fündig.
Als ich die zur Re-Betonisierung anstehenden Bahnhöfe auf meiner Hauslinie U2 nochmal abphotographierte, spielten vier Italiener sehr laut Albano und Romina Power ab. Ich musste lachen. Sie freuten sich darüber, dass ich mich freute. Dass zweien, als sie sahen, wer sich da freute, ein „Mamma mia!“ entkam, nahm ich amüsiert zur Kenntnis.

An den drei Bahnhöfen waren viele Menschen mit Koffern unterwegs. Anreise zur Verwandtschaft auf den letzten Drücker. Aber so ist das wohl, wenn der Heilige Abend auf einen Sonntag fällt. Viele müssen am 23. noch arbeiten. Oder man schiebt den Besuch so lange wie möglich auf…

Das Freaktum wurde auch noch belohnt. Als ich mich an der Theresienstraße für ein Photo aufbaute, fuhr an der Spitze des Zuges Wagen 093 ein. Baujahr 1967! Das ist Technik, die begeistert!

Vor zwei Tagen verstarb Ingrid Steeger. Mein Bild von ihr ist verschwommen und unvollständig. Auf mich machte sie immer den Eindruck, nicht als die Persönlichkeit, die sie war oder sein wollte, wahrgenommen zu werden. Exemplarisch dafür ist für mich ihre Rolle im großen Bellheim ihres damaligen Lebensgefährten Dieter Wedel. Er war nicht bekannt dafür, Frauen auf Augenhöhe zu begegnen. Dazu passt, dass Ingrid Steeger bis zur Unkenntlichkeit verkleidet und geschminkt war.
Der Nachruf von Georg Seeßlen greift das auf.

Mit Coverversionen ist das immer so eine Sache. Aber die von „Fairytaile of New York“, die anlässlich der Beerdigung von Shane MacGowan zum Besten gegeben wurde, kann sich wirklich hören lassen. Ich habe keine Ahnung, wer die Sänger*innen waren, aber ich meine in der Kapelle John Sheahan, das letzte lebende Gründungsmitglied der Dubliners, erkannt zu haben. Und am Schluss wurde getanzt. So soll es doch sein.

Wer feiern kann und will, möge ein frohes Fest und schöne Feiertage verbringen. Wer das aus Gründen nicht kann, möge Menschen um sich haben, die das auffangen können. Den vielen Menschen, die in diesen Tagen dafür sorgen, dass der Laden läuft, sei von Herzen gedankt!

27er, Juristen und Rainer Langhans

Die ganze Woche besteht für einen Trambahnfreak, wie ich einer bin, daraus, sich vor Orten anzuschauen, was das Geschehen so bietet. An manchen Stellen ist es sehr zäh, an manchen Stellen geht es mit einigen Tagen Anlauf plötzlich sehr flott.

Gestern machte das sehr wenig Spaß. Am „Programm“ lag es nicht. Es war einfach nur unheimlich greislig. Der Schnee in der Stadt verwandelt sich in ein grau-braunes Batz-Streugut-Gemisch (unter teilweise gefährlicher Eisschicht!), als wären wir in Köln oder Berlin. Dazu wehte ein fieser Wind. Meine Hände waren sehr schnell eiskalt und hätten selbst eine Watschn nur schwer hinbekommen. Ich robbte mich vom Hauptbahnhof zum Sendlinger Tor vor. Vielleicht kommt ja eine Trambahn. Das Gleisbett in der Sonnenstraße und Haltestellenanlage sah recht vielversprechend aus.

Und siehe da! Nach 10 Minuten fuhr eine Tram vom Stachus kommend in die Schleife! Natürlich habe ich sie photographiert und umgehend in Social Media geworfen. Man zweifelte die Aktualität an. Immerhin wurde mir nicht vorgeworfen, das Bild mit KI erstellt zu haben. Ein paar Minuten gesellte sich noch eine Tram dazu. Und noch eine! Aus einer stiegen sogar echte Fahrgäste aus!
…und dann fuhr mir der erste 27er ab Sendlinger Tor vor der Nase weg! Wie früher, vor dem JahrhundertJahrtausendschnee!

Den nächsten nahm ich und fuhr das erste Mal seit Oktober wieder mit der Trambahn durch die Maxvorstadt nach Schwabing. Es ruckelte noch ein wenig und der umsichtige Fahrer wies an jeder Haltestelle darauf hin, dass Schneehaufen vor den Türen liegen könnten.

Am Karolinenplatz schob ein Unimog der MVG mit Namen Gmeiner Yeti Schneemassen von der Haltestelle weg. Zur Feier des Tages fuhr ich bis zum Petuelring. Was man als „einheimischer Tram-Nerd“, wie mich die Kaltmamsell heute früh nannte, so macht.
Da fällt mir ein, dass ich bei einer von Patrick Gruban organisierten Nerd-Night vor über 10 Jahren in der Niederlassung über die Geschichte von Männern in Röcken referierte. Kann man mehrfacher Nerd sein?

Vor der Rückfahrt, als der Fahrer überprüfte, ob die Trambahn noch genügend Bremssand hat, entspann sich ein Gespräch. Ein einsteigender Fahrgast schimpfte über den Schneehaufen, den er erklimmen musste. Der eigentlich gutgelaunte Fahrer antwortete, dass er sich auch darüber freuen könne, dass die Trambahn wieder fahre. Eine Fahrgästin klinkte sich sofort ein und betonte ihre Freude. Der Fahrer bedauerte, dass der Betrieb über Jahre hinweg kaputt gespart wurde und das ursächlich dafür sei, dass die Trambahn so lange nicht fahren konnte. Früher habe es Schneepflüge und vieles andere gegeben, um den Betrieb aufrecht zu erhalten. Ich erwähnte, dass wir im MVG Museum einen schönen Schneepflug zeigen. Denn dürfe doch niemand mehr fahren, weil Juristen mit ihren Vorschriften alles verhindern, erklärte der Fahrer. Ich warf noch „Und BWLer!“ ein. Nickend ging der Fahrer nach vorne.

An der Herzogstraße steig ich aus, um im Rewe-Palast Einkäufe zu erledigen.
An der Kasse erzählte ich meinem Stammkassierer Jürgen, dass der 27er wieder fahre. Er rief sogleich seine Kollegin herbei, die seit Tagen vom Petuelring in die Arbeit laufe. Sie konnte ihr Glück kaum fassen und fragte zweimal nach. Ich bestätigte ihr zweimal, mit der Trambahn gekommen zu sein. Es ist schön, auch mal der Botschafter guter Nachrichten zu sein.
Danach kamen Jürgen und ich (Männer über 40!) auf die Prostata zu sprechen und er leitete auf Rainer Langhans, der Prostatakrebs hat, über. Ob ich ihn in letzter Zeit gesehen habe. Ich verneinte, es sei schließlich nicht gerade das ideale Wetter zum Tischtennisspielen im Luitpoldpark. Für Jürgen ist es ein guter Tag, wenn er Rainer Langhans sieht. Ob sie Langhans kenne, fragte er die ältere Kundin nach mir. „Ja, denn kenn i scho. Aber i mog an Schornsteinfeger liaba ois den Langhans.“
Mein Lachen konnte man im ganzen Markt hören.

Der Vollständigkeit halber möchte ich den über Nacht prominent gewordenen Fahrdrahtkontrollwagen, der gestern in Schwabing seine Aufwartung machte, von hinten zeigen.

Das notwendige Alte in einem zeitgemäßen Betrieb

Mit 97 Jahren im Dauereinsatz: Arbeitswagen 2942

Seit gestern hat München so etwas wie einen neuen Medienstar: eine Trambahn aus dem Baujahr 1926. Das „Schmuckstück“ ist derzeit die einzige Bahn im Bestand der Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG), die im Winter bei Eis und Schnee für einen reibungslosen Betrieb sorgen kann. Seit Freitag Abend ist sie ein wichtiger Part, um das am Freitag Abend Wetter und Willkür überlassene Trambahnnetz peu à peu wieder instand zu setzen.

Ein Spezialbagger und Mitarbeiter der MVG haben an der Hochschule München schon vorgearbeitet, als 2942 fast den schweren Rest erledigt.

Der Fahrdrahtkontrollwagen 2942 wurde 1926 als Poststraßenbahn gebaut und wurde nach ihrer Einstellung 1961 zu dem Wagen in der betriebseigenen Werkstatt zu dem Fahrzeug umgebaut, als der er heute noch im Einsatz ist. Mit zarten 97 Jahren ist der FK 1.8 seit Tagen im Dauereinsatz. Er ist heute das einzige Fahrzeug mit Maximumdrehgestell, das sich heute auf deutschen Straßenbahnnetzen im betrieblichen Einsatz befindet.

Niemand, auch wir von den regelmäßig kritisierenden Verkehrsinitiativen, bestreitet, dass der Schneefall von Freitag Abend bis Samstag Mittag extrem war und nicht nur die MVG und andere öffentliche Verkehrsunternehmen vor große Herausforderungen stellte. Der unangenehmen Frage, ob und wie die dreitägige Kompletteinstellung der Tram vermieden werden konnte, wird ausgewichen. Die 40 Zentimeter Schnee waren prognostiziert und fegten nicht wie ein Blizzard innerhalb einer Stunde über die Stadt hinweg. Im Gegenteil: die Kritik wurde schneller abgeräumt als Schnee auf 100 Metern Gleis. Die in Pressemitteilungen von AAN und Pro Bahn formulierte Kritik hat drei Tage nach ihren Veröffentlichungen ihre Berechtigung.
Es ist nicht so, dass wir hoffnungslose Nostalgiker sind, nur weil wir es für sinnvoll halten, ein paar Altbau-Hochflurbahnen für Wintertage vorzuhalten (wenngleich der Autor dieser Zeilen sehr gerne im MVG Museum hauptsächlich die Vergangenheit des Münchner ÖPNV zeigt). Wir setzen uns für einen zeitgemäßen, auch bei schlechter Witterung stabilen und extremer Witterung halbwegs stabilen und für Fahrgäste planbaren ÖPNV ein. Dass aus Sicherheitsgründen der Betrieb vielleicht für ein paar Stunden eingestellt werden muss, ist eingepreist. Wir fordern nicht, dass Altwagen im Linieneinsatz stehen. Das ist nicht zeitgemäß und hat auch nichts mit Barrierefreiheit für mobilitätseingeschränkte Fahrgäste zu tun.
Der ÖPNV ist das Rückgrat der notwendigen Verkehrswende und darf wegen des Wetters nicht ad absurdum geführt werden!

Dass der Fahrdrahtkontrollwagen, neben ausgeliehenem Spezialbagger aus Österreich und Spezialunimog der Stuttgarter Straßenbahn AG, in diesen Tagen so wertvolle Dienste leisten kann, ist dem inzwischen mehrfach berichteten Umstand geschuldet, dass der mechanische Teil der alle acht Jahre fälligen Hauptuntersuchung ehrenamtlich von der Werkstattgruppe der Freunde des Münchner Trambahnmuseums e. V. (FMTM) durchgeführt wurde. Der elektrische Teil wurde von der MVG übernommen.

P-Wagen 2031 nachts als Enteisungsfahrt in Grünwald (Photo: Lis/Mastodon)

Glücklicherweise hat die MVG noch ein paar Hochflurbahnen im Bestand – wenn auch nicht betriebsfähig. Die letzten P-Züge wurden vor drei Jahren still und leise, jedoch nicht unbemerkt aus dem Linienbetrieb genommen. Die Gründe waren nachvollziehbar, zogen Instandhaltung und notwendige Reparaturen Kapazitäten, die es wegen des Personalmangels nicht gab. Unterhalt und Wartung der Niederflurzüge hatten und haben Priorität.
Aber neben für gutes Geld zu vermietenden Sonderfahrten können die P-Wägen als Arbeitswagen noch wertvolle Dienste leisten. Es schneit nicht jeden Winter so viel, dass Schienenverkehr vor zunächst unlösbare Probleme gestellt wird. Aber zufrierende Oberleitungen begleiten Verkehrsbetriebe mit Straßenbahn jedes Jahr.

Einen Tag später präpariert der Fahrdrahtkontrollwagen die Strecke der Linie 27, hier am Hohenzollernplatz.

Entgegen des vermittelten Eindrucks, dass als Winter bekanntes Wetter keine spezielle Vorkehrungen erfordert, hat die MVG u. a. letztes Jahr erfahren, dass dem nicht so ist. Der Winter gingt nicht als schneereich in Erinnerung. Frederik Buchleitner tramreportierte vor einem Jahr:

Die meisten Zwischenschleifen und planmäßig ungenutzten Abbiegemöglichkeiten waren verschneit und vereist, da in der Nacht mangels einsatzbereiter P-Wagen keine geeigneten „Schneewagen“ die Strecken freifahren konnten und zudem das für den nächtlichen Winterdienst eingeteilte Zusatzpersonal auf wegen Personalmangel ansonsten ausfallenden Nachtlinien aushelfen musste.

Vielleicht lehne ich mich zu weit aus aus dem Fenster, aber ich gehe davon aus, dass bei der FMTM -Werkstattgruppe die Bereitschaft vorhanden ist, die MVG bei der Sanierung von zwei P-Zügen im Rahmen der Möglichkeiten mitzuhelfen. Der Fahrdrahtkontrollwagen ist ein sehr schönes Beispiel für eine gelungene Zusammenarbeit zwischen Betrieb und im Museum verankerten Verein.

Oberleitung und Hochgleis werden fitgemacht.

Soll dem funktionierenden Trambahnbetrieb das Wetter nicht im Weg stehen, ist das funktionierende Alte in einem zeitgemäßen Betrieb notwendig. Und es ist günstiger, als notwendige teure Spezialfahrzeuge anzuschaffen, die dann noch ewig auf die Zulassung der Technischen Aufsichtsbehörde warten.
Um nichts anderes geht es.

Das nicht vorhandene Notfallmanagement bei Stadt, MVG und DB sowie die zahlreichen Nicht-Reaktionen u. a. aus dem Rathaus werden Gegenstand eines weiteren Berichts sein.

Berichterstattung zu dem Thema (Update 06.12., 17:50):

Pressemitteilung des AAN
Pressemitteilung von Pro Bahn

Andreas Schubert (SZ): „Wo Eis und Schnee den Nahverkehr noch ausbremsen“
Guido Verstegen (AZ): „Dieser Oldtimer räumt die Gleise für die MVG“
Glosse vom Flaucher-Franzi (tz)
Dirk Walter (Münchner Merkur): „Tram-Ärger: Nur ein Räumfahrzeug im Einsatz“ (Link zu Photo auf X)
Heinrich heute (tz)
Joachim Mölter/Martin Mühlfenzl/Andreas Schuster (SZ): „Wenn die ,Großmuter’ zum Schneeschaufeln geschickt wird“

Tramreport über schneebedingte Einschränkungen bei der Münchner Tram vor einem Jahr (1)
Tramreport über schneebedingte Einschränkungen bei der Münchner Tram vor einem Jahr (2)
Tramreport mit einem Kurzbericht über die vergangenen Tage und Nächte

Kein oder nur sehr wenig ÖPNV: Beschwerdemöglichkeiten

Die Straßen sind frei, die Wege des ÖPNV in München und Umgebung sind es nach dem extremen Schneefall größtenteils noch nicht. Es wird bis Mitte/Ende der Woche dauern, bis alle Strecken wieder befahrbar sind. Verspätungen auf den befahrbaren Strecken werden noch mehr an der Tagesordnung sein als ohnehin schon.

Es ist in Ordnung, den Frust über den nicht funktionierenden ÖPNV im Netz bei den Botschaftern des Nichts in den Sozialen Medien abzuladen. Aber wir von den Verkehrsinitiativen können nicht viel machen. Das Wenige tun wir. Trotz der Kälte hatten wir einen heißen Draht mit sehr vielen E-Mails. Wir wissen auch ein bisschen mehr als Andere, aber damit können wir so nicht an die Öffentlichkeit.
Aber wenn sich etwas ändern soll, ist es sinnvoll, dass sich viele Betroffene beschweren. Auch das ist Teil funktionierender Demokratie. Dass wir uns beschweren, wissen die Verantwortlichen – und rollen teilweise die Augen, wenn sie ihr E-Mail-Postfach öffnen. Wir sind einschlägig bekannt.
Bitte den nachvollziehbaren Frust nicht bei den Fahrer*innen und den anderen Personalen wie Kundendienst, etc. loswerden! Sie geben (gerade in Zeiten von Personalmangel!) ihr Bestes, können jedoch nur das umsetzen, was ihnen Vorgesetzte und Leitungsebenen vorgeben. Wenn es kein Notfallmanagement gibt, liegt das Problem nicht an der Basis.

Beschweren könnt Ihr Euch bei den Unternehmen (in der Regel sind es unhandliche Kontaktformulare):
Bayerische Eisenbahngesellschaft (beauftragt Regionalverkehr in Bayern)
DB Regionalverkehr
Go Ahead Bayern
Bayerische Regionalbahn (Meridian, BRB Oberland)
S-Bahn München
Münchner Verkehrsgesellschaft (MVG; U-Bahn, Tram & Buslinien 100-199)
Münchner Verkehrs- und Tarifverbund (MVV; Regionalbuslinien)

Wichtig ist es aber auch, sich bei der Politik zu beschweren. Sie schafft die Rahmenbedingungen für den ÖPNV! Bei den Unternehmen des Regionalverkehr, S-Bahn ist der Landtag, für die MVG der Stadtrat zuständig. Im Bundestag auf die Probleme aufmerksam zum machen, ist auch nicht verkehrt.
Auf Bundes- und Landesebene ist es sinnvoll, die Abgeordneten im eigenen Wahlkreis zu kontaktieren. Wer das ist, wisst Ihr oder müsst Ihr herausfinden.

Verkehrsausschuss im Bundestag; Demokratisch gesinnte Abgeordnete aus Bayern: Jan Plobner, Dieter Janecek, Ates Gürpinar, Martina Engelhardt-Kopf, Dr. Jonas Geissler

Verkehrsausschuss im Bayerischen Landtag & Staatsministerium für Bauen, Wohnen und Verkehr

Mobilitätsreferat der Stadt
Mobilitätsausschuss im Stadtrat; Vorsitz: Dominik Krause
Via E-Mail sind die Stadträt*innen mit vorname.nachname@muenchen.de zu erreichen.
Der Weg zum Bezirksausschuss ist auch eine Möglichkeit, wenn Ihr Mitglieder kennt. Jeder hat einen Unterausschuss Verkehr.

Verschafft Eurem Unmut auch bei den Medien Luft! Die Berichterstattung am Wochenende lässt den Schluss zu, dass ÖPNV auch bei ihnen eine eher untergeordnete Rolle spielt.
Abendzeitung, Antenne Bayern, Bayerischer Rundfunk, Redaktion Oberbayern, Hallo München, Münchner Merkur, Radio Arabella, Süddeutsche Zeitung oder tz sind Ansprechparter*innen. (Lokalsender bitte selbst herausfinden.)

Darüber hinaus gibt es die Möglichkeit, in Initiativen für die Verkehrswende einzusetzen. Das ist beim Arbeitskreis Attraktiver Nahverkehr (AAN) im Münchner Forum, PRO Bahn, Straßenbahnfreunde München oder VCD München möglich.

Wahrscheinlich habe ich etwas vergessen oder übersehen. Schreibt Ergänzungen bitte in die Kommentare!

Drink and Love

Ich weiß nicht mehr, ob ich die Dubliners über die Pogues entdeckt habe oder umgekehrt. Wer sie ins Klassenzimmer gebracht hat, entzieht sich auch meiner Erinnerung. Aber wie die Dubliners, mit denen sie einige Songs aufnahmen, waren die Pogues ein wichtiger Bestandteil meiner musikalischen Sozialisation. Den Alkohol hatten wir schon entdeckt, nun konnten wir auch die entsprechenden Lieder dazu singen. Daran hat sich für mich bis heute nichts geändert.

Vermutlich anlässlich ihres Albums „Peace and Love“ gingen die Pogues auf Tournee. Sie machten auch in München Station. Da es eines unserer ersten Konzerte war, wussten wir noch nicht, dass sich die Rudi-Sedlmayr-Halle bestenfalls für Trampolin-Weltmeisterschaften eignet, aber nicht für Konzerte!
Leider blieb die Halle nicht die einzige Enttäuschung an dem Abend. Ob es eine Vorgruppe gab, weiß ich nicht mehr. Es dauerte nur sehr lange, bis sich die Pogues auf die Bühne am anderen Ende der Halle zeigten. Shane MacGowan hatte eine Flasche Whiskey dabei. Es war vermutlich nicht seine erste Flasche an dem Tag, denn textsicher wirkte er nicht. Der Mikrofonständer hatte hauptsächlich die Funktion, ihn beim Halten des Gleichgewichts zu unterstützen.
Nach rund einer dreiviertel Stunde war das Konzert vorbei. Vermutlich war die Flasche leer getrunken. Aber so genau konnten wir das von hinten nicht sehen. Es wurde mehr gebuht und gepfiffen als frenetisch gejubelt. Hätten sie eine Zugabe erwogen, hätten sie Shane MacGowan wahrscheinlich auf die Bühne tragen müssen.
Rund 35 Jahre später ist das Konzert immer noch das schlechteste, das ich gesehen habe. Es ist sicher auch ein Grund, warum ich nicht gerne auf Konzerte gehe.
In der Halle, die heute nach der Lieblingsautomarke des Münchner Oberbürgermeisters benannt ist, war ich 20 Jahre später, um einem sportlichen Ereignis beizuwohnen. Es war vermutlich ein Basketballspiel des FC Bayern. Aber so genau weiß ich das nicht mehr.

Einige Jahre später – Shane MacGowan war nicht dabei – waren wir noch einmal auf einem Konzert der Pogues, wieder in der Rudi-Sedlmayr-Halle. Das war leider nicht viel besser.
Warum es die Band, zu der man so gut tanzen kann, es nicht geschafft, uns wenigstens ein schönes, wildes Konzert zu bieten, verstehe ich bis heute nicht. Von den Dubliners habe ich viele Konzerte besucht. Da wollte niemand mitgehen, weil’s ihnen zu langweilig war.

Der Liebe zu ihrer Musik taten die zwei Abende keinen Abbruch.
„Jack’s Heroes“, der Song, den die Pogues gemeinsam mit den Dubliners anlässlich Irlands zur WM-Qualifikation 1990 aufgenommen, ist eines meiner liebsten Trink- und Fußballlieder. Unter dem Engländer Jack Charlton (dem Bruder von Bobby) nahmen die Iren erstmals an einer Fußball-Weltmeisterschaft teil.

Das Video zum gemeinsamen Song mit Nick Cave „What a Wonderful World“ kann ich ohne Groll anschauen. Zynischer kann man das nicht singen. Es passt über 30 Jahre später besser in die Zeit denn je. Nüchtern kann man diese wunderbare Welt wirklich nicht ertragen. Es ist eines meiner Lieblingsvideos. Hätte das das Musikfernsehen eingeläutet, wäre es vermutlich umgehend verboten worden.

Nun ist Shane MacGowan gestorben. Seine einstige Duettpartnerin Kirsty MacColl und Ronny Drew von den Dubliners warten oben schon, um mit ihm zu singen und zu tanzen.

Farewell, Shane!

Schwarzbau auf dem Balkon

Als ich den zweiten Waschaufhang dem Wäscheständer auf dem Balkon zuführte, war ich ein wenig verwundert, wie aggressiv mich eine Wespe penetrierte. Ich überlegte, ob ich etwas gegessen hatte, was sie haben wollte. Das Frühstück lag aber länger zurück. Ich versuchte weiter, die Wäsche aufzuhängen. Dabei umschwärmte mich weiter eine Wespe. So sehr, dass sie mir auf den Hinterkopf stach. Sie hatte gewonnen.

Vom Wohnzimmer aus schaute ich mir das Treiben etwas genauer an. Eine Menge Wespen flogen hin und her. Für mich kristallisierte sich heraus, dass der Rolladenkasten ihr Zuhause ist. Ein Treiben wie am Trambahn-Betriebshof Einsteinstein zur besten Aus- und Einrückzeit.
Mit gebückter Haltung und immer wieder von Pausen unterbrochen hing ich die restliche Wäsche auf. Erstmals seit langem hatte ich Angst, von Wespen gestochen zu werden.

Der Anruf bei der Feuerwehr ergab, dass sie nicht mehr für die Räumung von Schwarzbauten zuständig ist. Der Kammerjäger ist nun dafür zuständig. Umsiedlung wegen Artenschutz. Er kommt heute Nachmittag. Wenig später rief er nochmal zurück. Ob er später kommen könne. Seine Auftragsbücher seien voll. Fachkräftemangel, wohin man blickt.

Der letzte Wespenstich davor lag lange zurück. So lange, dass ich nicht mehr nachvollziehen kann, wann das war. Auf jeden Fall war er nicht nachhaltig. Passiert eben.
Gestern war es anders. Innerhalb weniger Minuten steigerte ich mich ein Psychospiel mit mir rein. Ich wartete auf eine allergische Reaktion und überprüfte mich sekündlich. Mir wurde schummrig. Ich sah mich in der Notaufnahme und war drauf und dran, die vereinbarte Führung abzusagen. Das scheiterte daran, dass ich keine Telefonnummer von den Buchenden. Den eilends angerufenen Ersatz erreichte ich nicht.
Auf der Fahrt ins Museum überprüfte ich meinen Körper auf mögliche Reaktionen – und fand natürlich welche. Pusteln an Beinen und Armen. Gleichzeitig war ich mir bewusst, dass eine allergische Reaktion wahrscheinlich unmittelbar nach dem Stich eingesetzt hätte. Aber das war meiner Psyche egal.
Fremdgesteuert ging ich die üblichen Schritte vor einer Führung. Tore öffnen, Fahrzeuge aufsperren, etc.

Die Besucher*innen kamen sehr pünktlich. Das kam meiner Psyche und mir entgegen. Zu Beginn noch recht fahrig fand ich schnell die gewohnte Routine und konnte auf ihre Bedürfnisse eingehen.
Nach zweieinhalb Stunden hatte ich meinen Psychostress weggeführt.

Ich reagiere nicht allergisch auf Wespenstiche. Noch nicht. Ich ging früh zu Bett, weil meine Psyche den Körper ordentlich beanspruchte.
Den Wespen ist das egal. Sie fliegen fröhlich hin und her. Bis heute Nachmittag, wenn der Kammerjäger den Schwarzbau räumt.

„Ist das wirklich umsonst?“

Eindrücke aus der Messestadt Riem

Die Messestadt ist in den letzten Wochen erneut zu Unrecht in Verruf geraten. Der Mord auf offener Straße im vergangenen Frühjahr war und ist Wasser auf die Mühlen der Menschen, die das Viertel schon immer für ein Ghetto war. Meines Wissens war das der einzige große Vorfall in den letzten Jahren. Aber um Fakten geht es selten, wenn ein Bild manifestiert werden soll. Dass es mitten in der Stadt, zum Beispiel im Stachus-Untergeschoss, wesentlich mehr Gewaltdelikte gibt, wird ignoriert.

In dem Viertel ist städteplanerisch so ziemlich alles falsch gemacht worden, was man nur falsch machen kann. Sinnbildlich steht dafür die Betonwüste mit Einkaufszentrum Willy-Brandt-Platz. Das ist „München für Fortgeschrittene“ und entfaltet seine Blüte an grauen Novembertagen so richtig. Platz, ja sogar öffentlichen Raum, gibt es eigentlich genügend, aber es wird nichts daraus gemacht. Er ist nicht attraktiv. Auf Beton und Stein hält man sich eben auch im öffentlichen Raum ungern auf – im Sommer zu heiß, im Winter zu kalt. Und mangelnde Wertschätzung für eigentlich nicht vorgesehene Nutzende drückt sich auch in Vandalismus aus.
Was die Messestadt rettet, ist der Riemer Park mit See. Ein im Nachhinein gelungenes Ensemble mit Schönheitsfehlern als Abfallprodukt einer erfolglosen, weil typisch für München überambitionierten Bundesgartenschau. Er ist Anziehungspunkt für Menschen aus dem Viertel, aber auch aus angrenzenden wie Trudering, Neuperlach sowie Nachbargemeinden wie Haar und Vaterstetten. Aber das ist ein Vergnügen, das jahreszeitlich überschaubar und wetterabhängig ist.

Spricht man mit Anwohnenden aus dem Viertel, wird schnell deutlich, dass die meisten gerne in der Messestadt wohnen. Teilweise leben sie sie über 15 Jahren dort. Das ist kein Stockholm-Syndrom, sondern Liebe. Zur Hood. Nachbar*innen, Orten – gerne werden auch die Riem Arcaden erwähnt –, soziokulturellen Vielfalt, und der Anbindung (U-Bahn!). Seit kurzem gibt es auch eine Stadtbibliothek – nach rund 25 Jahren. Das ist auch eine Aussage. Nur die Messebesucher*innen mögen sie nicht so. Wer mal während der Bauma durch das Viertel spaziert, kann das nachvollziehen.
Und sie wehren sich gegen die Stigmatisierung ihres Viertels, ihrer Herkunft. Die Jugendlichen belastet es, als Ghettokids gebrandmarkt zu werden. Sie negieren nicht mal Konflikte untereinander (die es in angeseheneren Viertel sicher auch gibt), aber sie wollen nicht darauf reduziert und deshalb diskriminiert werden.
Dem Babo der Messestadt, dessen Sohn die 2. Generation vertritt, zuzuhören, ist sehr wertvoll. Er differenziert zwischen Polizei und Polizei. „Die aus dem Revier sind in Ordnung.“ Das Problem sind die schwarzen Bereitschaftspolizist*innen, die das Viertel und ihre Bewohner*innen nicht kennen, was zu Eskalationen führt. Dazu tragen auch Jugendliche bei, die sich an falscher Stelle messen wollen – und immer den Kürzeren ziehen. Im schlimmsten Fall geraten sie in eine Spirale, aus der sie nur schwer oder gar nicht herauskommen. Dabei reden wir von Jugendlichen, Pubertierenden, die ihre Hormone qua Alter noch nicht im Griff haben können (und müssen!). Da knallt es eben mal.
Aber wenn Du aus der Messestadt bist und einen sogenannten Migrationshintergrund hast, hast Du wenig Möglichkeiten, Dich ohne Konsequenzen natürlich altersgemäß zwischen den Grenzen zu bewegen.

Dass sich der seit 15 Jahren versprochene Spielplatz vor der Haustür immer noch im Anfangsstudium befindet, wird angesprochen. In anderen Vierteln wäre das ein großes Thema. Aber scheinbarer Parkplatzklau in der Au ist wichtiger als ein Spielplatzfragment in der Messestadt.

Bevor Sie den Eindruck gewinnen, ich sei ein Messestadt-Experte, möchte ich anmerken, dass ich lediglich das zweite Jahr als Honorarkraft für die Stadt in dem Viertel arbeite. Und das auch nur im Sommer. Ich bin also nicht mehr als ein Schönwetter-Experte.

Das Allparteiliche Konfliktmanagement in München, kurz AKIM, bekommt immer wieder Mandate für die Messestadt. So waren wir letztes Jahr am Riemer See, um die dort Badenden, den See Genießende und eben auch Feiernde zu befragen, wie sie es dort finden, was sie für verbesserungswürdig halten (Toiletten, Kiosk, Beleuchtung in der Dunkelheit), woher sie kommen und überhaupt und sowieso. Konkretere Antworten entnehmen Sie bitte dem Jahresbericht 2022 (Seiten 7 und 8).
Seit ein paar Wochen sind wird dort, um mit Anwohnenden an verschiedenen Orten im Viertel ins Gespräch zu kommen. Das ist eine Konsequenz aus der Berichterstattung Anfang Juli.

Seit letzter Woche sind wir zusätzlich mit dem Projekt „Wir sind Messestadt“ auf der Südseite der Riem Arcaden zwischen Willy-Brandt-Platz und Platz der Menschenrechte. Wir sind unter der Woche nachmittags vor Ort und stellen Sitzsäcke zur Verfügung. Das Angebot richtet sich primär an Kinder und Jugendliche aus dem Viertel. Auf der Schotterfläche wird der farbige Blickfang sehr schnell wahrgenommen.
Kinder stürzen sich sofort darauf. Sie lassen sich sogar einfach fallen. Wo im öffentlichen Raum kann man sich einfach so fallen lassen? Oder sie spielen mit den Sitzsäcken. Man kann sich auf und unter Sitzsäcke legen und Sandwich spielen. Man kann sich auch damit bewerfen, tut ja nicht weh. (Liebe Erwachsene: Nicht nachmachen! So etwas können nur Kinder. Wenn wir das machen, brechen wir uns alles – und schauen dabei noch ziemlich peinlich aus.)
Erwachsene sind anfangs skeptischer, lassen sich aber nach einer kurzen Phase des Beobachtens nieder und genießen ihren Coffee to go. Einer bedankte sich für „eine chillige Mittagspause“ und will wiederkommen.

Und die 3. Bürgermeisterin Verena Dietl war am Dienstag vor Ort und nahm eine Sitzprobe. Sie hatte Spaß.

Über allem steht die Frage: „Kostet das was?“
„Nein, das kostet nichts.“
„Was, ist das wirklich umsonst?“
Nun ist München nicht für kostenfreie Angebote bekannt, aber ich musste schlucken, als ich heute dieses Gespräch führte. Dass sich Kinder und Jugendliche einen Sitzsack über Nacht kostenlos ausleihen dürfen, ist noch weiter von der Vorstellungskraft entfernt.
Was einem Großteil der in der Messestadt Lebenden gemein ist, dass sie nicht auf der Sonnenseite des Lebens stehen. Sie sind es gewohnt, für etwas bezahlen zu müssen. Das können sie sich nicht leisten und sind somit von vielen Dingen ausgeschlossen.
Die Kommerzialisierung des öffentlichen Raum ist nicht nur in der Messestadt ein Problem. Aber es drückt sich in einem stigmatisiertem Viertel deutlicher aus.

Es ist auch nicht so, dass in der Messestadt nichts passieren würde. Viele, auch Familien, erzählen, dass schon etwas geboten werde. Aber ich gewinne den Eindruck, dass einiges nebeneinander, aber nicht gemeinsam angeboten wird.
Ich kann nicht beurteilen, inwieweit die einzelnen Angebote die Familien, Kinder und Jugendlichen erreichen. Dafür bin ich zu sehr Außenstehender. Ich höre nur zu – und biete etwas an. Das ist eigentlich nichts Besonderes. Das interessante an der Tätigkeit sind die Nebensätze und die Beobachtungen.

Manchmal geht es auch nur um Verantwortung in Kleinen.
Wenn mich ein Zehnjähriger im Beisein seiner Mutter fragt, wer denn nun den Leihvertrag für den Sitzsack unterschreiben darf, und ich sage: „Du“, wächst der junge Mensch binnen Sekunden neben mir.

Es steckt sehr viel Potenzial in der Messestadt. Es ist ein junges Viertel, das nicht so saturiert wie viele andere innerhalb des Mittleren Rings mit seinen schönen Altbauwohnungen ist. Die Chance, aus diesem Potenzial, dieser soziokulturellen Vielfalt zu schöpfen und es nicht zu stigmatisieren, ist noch vorhanden.

Links:
Allparteiliches Konfliktmanagement in München (AKIM)
Aktion „Wir sind Messestadt“ Montag-Freitag zwischen 14 und 16 Uhr bis 22.09. an den Riem Arcaden (Südseite) zwischen Willy-Brandt-Platz und Platz der Menschenrechte

Neu: Jetzt auch mit lackierten Fingernägeln!

Eigentlich wollte ich mir schon vor über zwei Monaten das erste Mal die Fingernägel lackiert haben. Aber da stand ein Wochenende in Sachsen-Anhalt im Wege. Das mag jetzt unfair klingen, aber dass ich vor 31 Jahren in Leipzig von Nazis zusammengeschlagen wurde, bleibt leider unvergessen. Außerdem wollte ich schon früher damit begonnen haben, jedoch es kam nicht dazu. Das lag daran, dass meine Einkäufe im Drogeriemarkt auf Klopapier und andere Hygieneartikel fokussiert waren und ich so etwas wie Kosmetik sich internalisieren musste. Mit 50 fallen Umstellungen schwerer als mit 20, auch die freiwilligen.

Dass ich das hier noch nicht erwähnte, liegt daran, dass ich es vergessen hatte. Ich sehe meine lackierten Fingernägel zwar täglich, muss aber konstatieren, dass mir nicht alle Menschen, mit denen ich gerne regelmäßig zu tun hätte, auf die Finger schauen können.
Als ich heute Nachmittag widerwillig meine Ent- und Besorgungsrunde machte, wurde ich auf das Thema gestoßen und erinnerte mich daran, hier noch nicht darüber geschrieben zu haben.

Jürgen, der Kassierer meines Vertrauens im Rewe-Palast am Eck, fremdelte ein wenig, als er mich das erste Mal mit bunten Fingernägeln sah. „Braucht’s des“, hätte er gefragt, wenn er des Bairischen mächtig wäre. Nicht abschätzig, eher irritiert, neugierig, obwohl er Kummer – Röcke, Kleider und andere Katastrophen – mit mir gewohnt ist.
Heute, als ich ihm ungefähr die vierte Farbe vorführte, sprach er seine Kollegin an der Kasse nebenan auf mich an. Ich zeigte ihr meine orange lackierten Nägel. Ob sie begeistert oder einfach nur höflich war, konnte ich zunächst nicht einschätzen. Auch die Kollegin, die für die Selbstbedienungskasse zuständig ist, wurde involviert. Ich nahm entspannte Stimmung wahr. Das ist in Supermärkten, wo ungeduldige Einkaufende auf um Langmut kämpfende Mitarbeiter*innen treffen, nicht selbstverständlich.
„Das wär doch was für Dich“, wies mich Jürgen auf die wirklich schönen, pinken Fingernägel seiner Kollegin hin. „Pink hab ich auch“, merkte ich vielleicht etwas arrogant an. Aber ich weiß, dass meine nicht vorhandene Feinmotorik so schöne Fingernägel nie hinbekommen wird!
Wesentlich besser gelaunt als beim Eintritt verließ ich den Supermarkt.

Wenn ich ehrlich bin, bin ich erleichtert darüber, dass es junge, männlich genannte Menschen sind, die damit so entspannt umgehen und es einfach machen. Nicht viele, aber viel mehr, als ich um die 20 war. Und das liegt wirklich lange zurück. Sie scheißen sich nix.

(Bild: mrdomen1k/Twitter)

Es gibt Photogelegenheiten mit anderen Menschen, die sich die Fingernägel lackieren oder auch nicht. Wer die männlich genannte Person ist, spielt keine Rolle.

Oder man geht mit einem Freund spazieren. Und freut sich nach Veröffentlichung des Photos über die Reaktionen auf Social Media.

Mehr Schlusssatz ist nicht. Zumindest nicht in diesem Text.

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Vielen Dank!