Ich kann nicht für Dich Röcke tragen.

Die Schwierigkeit, Anderen dabei zu helfen, etwas zu tun, was sie sich nicht trauen.

Der Text entstand als Diskussionsbeitrag zum Thema „Unterstützung für den Mann im Rock für Forumsmitglieder“ auf Rockmode.de als Replik auf erneut offen ausgetragene Dissonanzen einzelner Mitglieder. Während des Schreibens wurde er immer länger und unbeabsichtigt blogbar.
Das ist nun das vorläufige Endergebnis.
Lesezeit: 1 Beinlänge.

Vorneweg: Zu Dissonanzen zwischen einigen Forenmitglieder kann und will ich nichts sagen. Sie ziehen sich von Anfang an mit unterschiedlichen Protagonisten wie ein roter Faden durch dieses, andere thematisch gleiche und Foren allgemein. Das ist auch ein Grund, warum ich mich aus Foren weitgehend zurückgezogen habe. (In besagtem Forum lese ich am meisten noch verlinkte Medien mit Gewinn; die kann ich in Social Media auch teilen und so zur Verbreitung des Themas beitragen.)
Ich ziehe aus den Diskussionen auch nichts mehr, was mich in meinem Tun bestärkt. Meine Art der Bekleidung ist für mich Alltag. Ich schreibe auch nicht in Essensforen, was ich warum esse (teile aber beides ab und zu auf Social Media). Es ist in meinen Augen hilfreicher und vielleicht auch einfacher (für mich auf alle Fälle), sich draußen zu „stellen“, als sich hier intern zu zerfleischen.
Ich bewege ich viel in Social Media, wo ich regelmäßig wenig anonym das Thema bzw. mein Tun anspreche. Ich habe tatsächlich noch nie offene Ablehnung erfahren. Frauen antworten mir auf Fragen zu bestimmten Strumpfhosen oder weisen mich ungefragt auf Sonderangebote hin. Hallo? Das halte ich für Glück.

Andererseits bewege ich mich viel zu Fuß in meiner Stadt (irgendwoher muss der Stadtneurotiker ja kommen). Man kann mich also sehen und ansprechen. Gerade die direkte Ansprache wildfremder Menschen in Form von Fragen, die gerne auch mal Irritation ausdrücken, erlebe ich als unheimlich bereichernd. Das bezeichne ich nicht als Glück. Denn es gehört schon ein wenig Schneid dazu, jemanden auf der Straße anzusprechen. Muaß ma megn. Dabei geht es mir gar nicht mal darum, sie von meinem Tun zu überzeugen. Nicht mein Ding. Aber mir Zeit zu nehmen, Irritationen aufzugreifen, in Kontexte zu setzen, zuzuhören, auch mal abzuschweifen, empfinde ich auch für mich als bereichernd. Gut, um das zu packen, sollte man auch gerne reden, kein Problem damit haben, darauf angesprochen zu werden oder seinem Gegenüber mit seinen vielleicht konträren Ansichten zuzuhören, solange sie nicht beleidigend sind. Aber es ist wirklich schön zu beobachten, wie es gegenüber oben rattert. (Und manchmal rattert es bei mir auch. Das ist ja auch der Sinn eines Dialogs.) Was dabei herauskommt, ist zweitrangig. Ich bin kein Missionar.
Es ist auch nicht so, dass ich mich immer gleich verhalte. Jeder Jeck is anders, und ich bin auch nicht immer gleich gut drauf. Und wenn ich keinen Bock auf Ansprache habe, signalisiere ich das auch. Oder verlasse in Hosen das Haus.
Aber das Leben findet dann doch in diesem Draußen statt.

Ich weiß nicht, wie ich dazu beitragen kann, dass sich mehr Männer trauen, Röcke, Kleider, Strumpfhosen, etc. offen zu tragen. Ich kenne die Personen und ihre Umfelder zu wenig, um gute Ratschläge geben zu können. Das ist im sogenannten richtigen Leben etwas einfacher, wenn man darauf angesprochen wird.
Letztlich kann ich mit Wörtern und in mit mich zur Schau stellenden Bildern nur mit Ich-Botschaften operieren. Die lassen sich bekanntlich nicht verallgemeinern und ich finde es ermüdend, immer nur von mir zu sprechen, um Andere zu bestärken. Ich bin auch kein Freund von öffentlicher Stilkritik, weil Photos häufig nur einen Ausschnitt darstellen.
Einige legen die Vermutung nahe, dass noch jemand seinen Stil, in dem er sich wohlfühlt, sucht, was vollkommen in Ordnung ist und zum Prozess dazugehört. Eine Ernährungsumstellung ist schließlich auch keine Angelegenheit, die innerhalb von 24 Stunden abgeschlossen ist. Ich habe einige Jahre dafür gebraucht – und experimentiere immer noch. Das aber eher aus Neugier. Seit diesem Sommer nach rund 15 Jahren wieder mit Kleidern.
Andere strahlen so viel Selbstbewusstsein in ihrem Tun bzw. Tragen aus, dass ich jegliche Kritik daran obsolet finde. So kann Mann auch sehr glaubwürdig Dirndl tragen. Nicht meins, aber es funktioniert.
Ob das jedoch lediglich meine Interpretation oder Tatsache ist, vermag ich nicht zu beurteilen. Und manchmal ist man verleitet, seinen Geschmack über den des Gegenübers zu stellen, was für den auch nicht hilfreich ist.

Vielleicht ist es hilfreich, sich mit Menschen abseits der Foren-/Internetblase zu unterhalten, also Menschen, die mit dem Thema erst einmal nichts tun haben. Ich habe mich, als ich vor 20 Jahren damit begonnen habe, mit anderen Menschen aus meinem privaten Umfeld darüber unterhalten; mich teilweise auch erklärt. Vielleicht sogar gerechtfertigt, wobei mir dieses ungute Gefühl sehr schnell genommen wurde. Und ja, ich musste mich gefühlt mehr erklären, als wenn ich statt schwarzen Jeans plötzlich pinke Leinenhosen getragen hätte. Es ist mir nicht bekannt, dass sich mir wichtige Menschen wegen meiner damals neuen Art der Bekleidung von mir abgewendet hätten. Ich wurde auch nie gebeten, mich doch bitte „normal“ anzuziehen, weil man nicht auf mich angesprochen werden wolle.

Moi 2002

Vielleicht bin ich die Sache anfangs etwas zu verbissen angegangen und kam nicht so überzeugend rüber, wie es heute der Fall ist. Aber vielleicht es das für Viele Teil des Prozesses. Ein ernsthaftes Problem mit Röcken bekam ich letztlich nur einmal. Zu Beginn meiner „Rockträger-Karriere“ fasste ich den Mut, erstmals zur Arbeit im Rock zu erscheinen. Es war ein Kindergarten in Pullach, den ich für kurze Zeit leitete. Das Team wusste, dass ich privat Röcke trage.
Nach drei Wochen Schließungszeit hielt ich das für eine gute Idee. Die Kollegin, die schon im Dienst war, als ich kam, weniger. Nun, da wusste ich noch nicht, dass die Eltern in den Ferien bei der Gemeinde öffentlichkeitswirksam ordentlich Rabatz gemacht haben, weil ihnen die Gestaltung der Außenanlagen nicht schnell genug ging. „Erzieher (Leiter) im Rock“ und „Unvollständige Außenanlagen“ sind zwar sehr unterschiedliche Themen, aber wenn Eltern eh schon im Rage-Modus sind, spielt das keine Rolle.
Und so kam am nächsten Tag die Elternbeiratsvorsitzende zu mir ins Büro und berichtete, dass sich drei Eltern bei ihr über mein Outfit beschwert hatten. Natürlich anonym, weil ich es ja an ihren Kindern auslassen könnte. Der engagierten Mutter war das äußerst unangenehm, war sie doch eine Frau, die mit offenem Visier agierte. Sie entschuldigte sich sogar für das Verhalten dieser Eltern.
Damit war das Thema „Rock am Arbeitsplatz“ erst einmal erledigt. Wenige Monate später war ich weg. Fairerweise muss ich dazu sagen, dass ich der falsche Mann zur falschen am falschen Ort und mit der Leitung vollkommen überfordert war. Das rechtfertigt jedoch auch heute das feige Verhalten dieser Eltern nicht. Andere Eltern steckten mir, wer es war. Es waren die, denen ich es am meisten zugetraut hatte.
Ich kehrte zu meinem alten Arbeitsplatz zurück. Dort kannte man mich zwar noch nicht im Rock und war nach meiner Rückkehr etwas erstaunt. Aber es war sehr kein Thema mehr, weil der Arbeitgeber recht liberal war. Dort erlebte ich das erste Outing einer lesbischen Frau am Arbeitsplatz. Eine ebenfalls sehr unaufgeregte Angelegenheit.
Rund 15 Jahre später störte sich noch ein Arbeitgeber im Bereich der Fahrgastzählung daran. Ein Mann mit einem Männerbild aus den 60er Jahren. Es war klar, dass ich den nicht überzeugen kann. Ein Hiwi-Job für 9,50 Euro Stundenlohn, den ich knapp sechs Wochen ausübte, war mir das auch nicht wert.
In der letzten Einrichtung, in der ich mich in Rock und Strumpfhose vorstellte, bekam ich von einer Mutter an meinem ersten Arbeitstag zu hören: „Schade, dass Du nicht schon vor einem Jahr bei uns angefangen hast. Da wollte mein Sohn unbedingt Kleider und Röcke tragen, hat sich aber nicht getraut!“ That’s the spirit!
Und wenn sich Eltern an mich wenden, weil ihr Sohn Kleider trägt und sie sich freuen, dass es ein Erwachsener tut, bringt mein Tragen Anderen etwas.
Inzwischen kennen mich die meisten Menschen nur noch so, was vieles erleichtert. Es hat manchmal auch den Nachteil, aufgrund meines Kleidungsstils sofort wiedererkannt zu werden, das Gesicht einer Sache zu sein, obwohl die Würdigung für eine gelungene Sache Andere, die daran mindestens genauso ihren Anteil haben, verdient haben, die mit meiner Kleidung nichts zu tun hat.

Zur Wahrheit gehört auch, dass ich anfangs ein Role Model hatte: Ferdi.
Weniger wegen seines Kleidungsstils (uns unterscheiden da Tag und Nacht), sondern wegen seiner Art. Wie er es verkauft hat: mit einer Inbrunst, Selbstbewusstsein und, ja, auch Stolz. War ich mit ihm unterwegs, auffälliger bekleidet als er und meinen Stil noch suchend, ist er begeistert angesprochen worden – hauptsächlich von Frauen. Das ging so weit, dass er im hohen Norden von unbekannten Damen gefragt wurde, ob er in Bonn ab und zu an den Rheinauen sei. Große Begeisterung, als er das bestätigte. (Er hätte sie alle haben können.)
Und er hat nie an Outfits anderer Rockträger herumgekrittelt sich lautstark davon distanziert, sondern sie darin bestärkt. Seinen Geschmack hat er nicht als Maßstab genommen. Ferdi, der 2008 viel zu früh verstorben ist, hat sich einfach nur ehrlich gefreut, wenn es wieder einer geschafft hatte.

Ich kann für mich nur bilanzieren, dass ich für meine Art mich zu kleiden, sehr viel positive Rückmeldung bekomme. Hätte man mir das zu Beginn prophezeit, hätte ich vehement mit dem Kopf geschüttelt. Und ich bin ein Mensch, dem nicht viel Selbstbewusstsein in die Wiege gelegt wurde, an dem viel kritisiert wurde und der sich ständig Vergleiche mit Anderen (vermeintlich Besseren) anhören durfte. Das ging hin bis zu Mobbing in der Schule. Inzwischen bin ich so weit, dass ich mir keine Gedanken darüber mache, was hinter meinem Rücken eventuell über mich gesprochen wird. Es interessiert mich nicht.
Ich glaube, dass ich darüber auch in anderen Bereichen des Lebens zu wesentlich mehr Selbstbewusstsein gefunden habe. (Hätte gerne ein paar Jahre früher kommen können.) Und ich bin den letzten Jahren durch einige tiefe Täler gegangen, die aber mit dem Thema nichts zu tun hatten.
Ich könnte jetzt mantra-artig wie ein Motivationscoach oder Lebensberater behaupten: „Das kann jeder schaffen! Sei Du selbst!“ Nein, das kann ich nicht. Ich finde so etwas auch übergriffig, weil es die Umstände meines Gegenübers ignoriert. Es ist mir auch bewusst, dass ich Zwänge wie Familie, Job (die letzten Vorstellungsgespräche habe ich alle in „meinem“ Outfit geführt; sie führten alle zur Anstellung), Hobbys, die Andere haben, nicht habe. Also kann ich auch hier keine Ich-Botschaft verallgemeinern.
Und wer ein Problem damit hat, auf der Straße unregelmäßig und unvorbereitet für ein paar Sekunden im Mittelpunkt des Interesses zu stehen, sollte es bleiben lassen. Das meine ich überhaupt nicht böse, denn nicht jeder ist mit dem Rampensau-Gen ausgestattet, das dafür manchmal notwendig ist und das ich gewiss habe (Sohn einer Schauspielerin – machste nix).
Natürlich erlebe ich negative, unangenehme Reaktionen auf der Straße. Zuletzt auf der Bauma (darauf werde ich separat eingehen). Aber die Einordnung, es dort mit 95% zur Schau gestelltem Testosteron in Kombination mit Alkohol zu tun zu haben, hilft mir. Nach 20 Jahren haut mich auch nicht mehr viel um. Vor zwei Monaten von Banlieue-ähnlichen Jugendlichen beim Trambahn-Photographieren in Straßburg mit Kastanien beworfen zu werden, war eine gänzlich neue Erfahrung für mich. (Sie haben nicht getroffen.)
Dennoch erlebe ich weitaus mehr positive Reaktionen als negative. Die meisten Reaktionen sind übrigens – gar keine Reaktion.

Moi 2022

Andererseits habe ich oft den Eindruck, dass es für Viele einfacher ist, einen Opfermythos zu pflegen und sich dahinter zu verstecken, anstatt es einfach mal für mehr als einen Tag auszuprobieren. Es muss ja am Anfang nicht gleich das Jahresgespräch mit dem Vorgesetzten sein…
„Es gibt nix für Männer!“ Ja, stimmt. Oder man muss sehr intensiv danach suchen. Womit wir auch schon beim Henne-Ei-Problem wären, für das ich nach 20 Jahren immer noch keine schlüssige Lösung habe. Ich suche nicht speziell nach Sachen für Männer. In Bekleidungsgeschäften wurde ich vom Personal auch nie schief angeschaut, wenn ich über den Tellerrand gegriffen habe. Im Gegenteil. Dort, wo es noch Personal gibt, wurde ich immer sehr zuvorkommend behandelt.
„Die Frauen lassen uns nicht!“ Das halte ich größtenteils für aus der Luft gegriffen. Nun habe ich von Ehe mangels Erfahrung keine Ahnung. Aber wenn der plötzlich gerne Rock tragen wollende Gatte eine Ehekrise hervorruft, liegen meiner These nach andere, tiefer liegende Probleme in der Partnerschaft zugrunde. Oder der Mann will insgeheim eine Frau sein, was natürlich speziell Auswirkungen auf das nicht unwesentliche Sexualleben haben kann. (Wir hatten schon einige Männer, die übers Rocktragen ihrer wahre Geschlechtsidentität gefunden haben.)
„In der Arbeit geht das nicht!“ Das gilt sicher für einige Jobs, speziell für die mit qua Tätigkeit vorgeschriebener Bekleidung nach Arbeitssicherheitsschutz, aber bestimmt nicht für alle. Ich komme aus einem klassischen Frauenberuf mit überwiegend weiblichen Vorgesetzten. Ich hatte zumindest wegen meines Outfits nie Probleme. (Natürlich gibt es auch unter weiblichen Vorgesetzten nahezu unverdauliche Bissgurken.) Vielleicht liegt der Schlüssel darin, dass es noch zu viele männliche Vorgesetzte mit einer, vorsichtig ausgedrückt, konservativen Vorstellung von angemessener Bekleidung am Arbeitsplatz, die sie dann auch vorleben. Warum z. B. im Einwohnermeldeamt ein Angestellter im Rock ein Problem sein soll, erschließt sich mir nicht.
„Was ist, wenn ich plötzlich ins Krankenhaus eingeliefert werde?“ Nichts. Krankenpflegerin Helga oder Krankenpfleger Jochen und Dr .Hollmann haben den Notfall im Blick, nicht meine Bekleidung. Sie fluchen höchstens hinter vorgehaltener Hand, wenn sie mir umständlich die Strumpfhose ausziehen müssen. Das tun sie aber bei einer Notfallpatientin auch. Die Strumpfhose ist halt hinterher kaputt und wird nicht ersetzt. Das ist auch schon alles.
„Meine Freunde akzeptieren das nicht!“ Sicher? Ich bin sehr intensiv in zwei Vereinen tätig, in denen das Gros männlich, über 50 und in seinen Vorstellungen sehr eingefahren ist. Selbst da habe ich kein Akzeptanzproblem. Am Anfang schauen’s vielleicht komisch, fragen irritiert. Spätestens nach ein paar Wochen is der Kas bissen, wie man in Bayern so schön sagt. Im Privatumfeld würde ich (erneut) damit beginnen.

Ich bin schon länger überzeugt davon, dass zuvorderst wir Männer uns im Weg stehen, um „die Sache“, die optisch so vielfältig sein kann, voranzubringen. Ich halte es für kontraproduktiv, reflexartig einem nicht genehme, scheinbar zu feminine Outfits Anderer für „die Sache“ allgemein auszuschließen, nur um es sich einfacher zu machen.
Das macht das Helfen im Forum übrigens nicht einfacher. Im Gegenteil. Es erschwert mir, mich sinnvoll an Diskussionen zu beteiligen, wenn Outfits wegen scheinbar falscher Konnotation diskreditiert werden. Ich bin nicht der Andere. Du bist auch nicht der Andere. Der Andere steht nicht für alle Rockträger. Ich distanziere mich auch nicht von Jedem, dem ich auf der Straße in verwaschenen und ausgebeulten Jogginghosen begegne. (Da hätte ich viel zu tun.)
Ich lebe mit meinen unterschiedlichen Outfits auch nicht meine feminine oder maskuline Seite aus, wenn ich zum Rock oder Kleid pinke Strumpfhosen trage. Ich lebe bestenfalls mich aus – mit all meinen unterschiedlichen, Geschlechter übergreifenden Facetten und Launen. Du darfst selbstverständlich gerne, je nach Stimmung, Deine männliche oder weibliche Seite ausleben.
Ich mache zudem die Erfahrung, dass vor allem junge Menschen mit meiner Art der Bekleidung überhaupt kein Problem haben. Mein Outfit ist im öffentlichen Raum, in dem ich u. a. als Honorarkraft für die Stadt arbeite, häufig ein guter, niederschwelliger Gesprächseinstieg meiner jungen Gegenüber, um dann zum eigentlichen Thema überzuleiten.

Der nun 20 Jahre lange Weg, der hinter mir liegt, war nicht immer einfach. Manchmal waren Umwege notwendig, um dorthin zu gelangen, wo ich jetzt bin. Der Weg ist auch nicht zu Ende. Ein Zurück wird es für mich nicht geben.

tl;dr: Ich weiß nicht, wie ich anderen Forenmitgliedern oder Männern allgemein in die Röcke, Kleider, Strumpfhosen etc. verhelfen kann. Jeder muss seinen Weg finden, den er gehen kann. Es ist einer mit vielen Abzweigungen. Er kann auch in einer Sackgasse enden. Idealerweise ist der Weg nicht von Arbeit, sondern von Spaß gesäumt.

Gastbeitrag: „Röcke und Kleider für Männer – Ein gesellschaftliches Tabu“

Heute gibt es statt Selbstgeschriebenem einen Gastbeitrag.
Samuel Muth, Hosenträger, der seit Neuestem auf 8000 Muenchen 40 bloggt, studiert Politikwissenschaften und hat sich im Nebenfach Soziologie über den Mann im Rock ausgelassen. Mit seiner freundlichen Genehmigung, für die ich mich herzlich bedanke, veröffentliche ich seinen Text.
Mein Einfluss kann also nicht ganz schlecht sein, denn seine Hausarbeit wurde nur knapp nicht mit „Sehr Gut“ bewertet. Und manchmal ist es so ein Text, der mich darin bestärkt, meinen unkonventionellen Bekleidungsvorlieben öffentlich nachzugehen, anstatt meine Röcke nur in der Wohnung zu tragen und mich darin vor Gelsenkirchener Barock ablichten zu lassen.

Aber lesen Sie selbst!

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Röcke und Kleider für Männer – Ein gesellschaftliches Tabu

In den westlichen Gesellschaften zeigt sich der steigende Individualismus auch in der praktisch freien Wahl der Kleidung. Damit werden Lifestyle und Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe ausgedrückt. Trotzdem gibt es einige Konventionen. Hierzu gehört, dass Männer praktisch keine Röcke, Kleider oder sonstige als weiblich angesehene Kleidungsstücke tragen. Wieso dies der Fall ist und welche Konsequenzen das hat, möchte ich in dieser Arbeit darstellen.

„Sie beleidigen Frauen!“

Ausschlaggebend für die Wahl des Themas dieser Arbeit war eine Erfahrung, die ich im Jahr 2010 machte, als ich mit Ben Neudek, einem Freund von mir und passioniertem Rockträger, in München unterwegs war. Ben Neudek formulierte das Geschehene in seinem Blog folgendermaßen:

Es wurde wieder mal Zeit, daß ich für meine modische Vorliebe blöd angemacht werde.
Nach einem erfüllten Tagesprogramm, sieben Stunden Trambahnfahren, näherte sich mir unbemerkt eine Frau, die ich mit einer ausholenden Bewegung fast umgestoßen hätte.
Sie musterte mich. Sie musterte mich lange, bevor sie mir sagte, daß Männer keine Röcke trügen. Schlimmer noch: “Sie beleidigen Frauen!” Nun, das konnte ich leider so nicht stehen lassen, was leider auch mit ihrem Aussehen zu tun hatte. Sie schleppte einige Burger und Tiefkühlpizzen zu viel mit sich herum. Das konnten auch ihre zu kurze Jogginghose und der Billig-Fleece-Pullover nicht kaschieren. Leider musste ich sehr schnell feststellen, daß sie Argumenten und Einstellungen, die sich abseits ihres Denkschemas bewegen, wenig zugänglich war. Daß Jogginghosen nicht unbedingt als Casual Style durchgehen, akzeptierte sie nicht. Nachvollziehbar, laufen doch mehr adipöse Menschen in sogenannter Sportkleidung rum als schlanke Männer im Rock. Es liegt ja immer im Auge des Betrachters. Sie war eine typische Vertreterin, wie sie im Privatfernsehen jeden Nachmittag zu sehen sind. Männer im Rock stehen halt nicht mitten im Leben.
Meine Begleiter amüsierten sich offensichtlich.
Nachdem sie irgendwann einsehen musste, daß gut gemeinte Worte bei mir zwecklos sind, suchte sie die nächst höhere Instanz am Platz auf. Sie redete auf den Trambahnfahrer ein und zeigte auf mich. Der gute Mann, der wenigstens eine anständige Uniform trug, blickte in unsere Richtung und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Leider hatte er nicht unbegrenzt Zeit, weil der Fahrplan keine Gnade kannte.

Als sie bemerkte, daß ich einstieg, verwarf sie ihre Vorsatz, pünktlich ins nächste Schnellrestaurant zu kommen und blieb draußen. Als die Trambahn abfuhr, griff sie zu ihrem Mobiltelefon. Das Erlebniss musste umgehend mitgeteilt werden.
Meine Begleiter fragten mich, ob ich denn öfter solche Erlebnisse hätte. Nach einigem Überlegen kam ich nicht umhin zuzugeben, daß sie einem der Höhepunkte meiner Rockträger-Karriere beiwohnten.

Dies stellte mich vor die Frage, aus welchen Gründen dem Anblick von Männern in Röcken in unserer doch sehr offenen und freien Gesellschaft mit so großen Ressentiments entgegengekommen wird.

Röcke und Kleider für Männer, ein gesellschaftliches Tabu

Die Wahl der Kleidung dient in unserer Gesellschaft schon immer auch als Weg der Kommunikation. Die Kleiderordnung in der vorindustriellen Zeit zeigte eindeutig die Standeszugehörigkeit an. Mitte bis Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte sich unsere heutige Vorstellung von Mode als Ausdruck von Lebensstil und sozialer Schicht, aber auch zur Unterstreichung des Geschlechts.
Im Zuge der Frauenbewegung erschlossen sich für Frauen zunehmend auch jene Kleidungsstücke, welche zuvor Männern vorbehalten waren, beispielsweise Hosen und T-Shirts. Es erscheint auf den ersten Blick daher ungewöhnlich, dass typisch weibliche Kleidungsstücke, also Röcke, Kleider und ähnliches, in unserer Gesellschaft bisher immer noch Frauen vorbehalten bleiben.
Männer in Frauenkleidung werden grundsätzlich als Transvestiten angesehen, oder es wird als ein sonderbarer Fetisch interpretiert. Auch wenn es inzwischen spezielle Männerröcke gibt, finden diese kaum Akzeptanz in der Gesellschaft. Vielmehr wird den Trägern solcher Röcke häufig intuitiv eine homosexuelle Neigung zugeschrieben. Es stellt sich mir daher die Frage, aus welchem Grund männliche Kleidungsstücke für Frauen heute gesellschaftlich anerkannt sind, nicht aber umgekehrt.

Wie lässt sich dieses Phänomen erklären?

Um dies herauszufinden, werde ich zuerst analysieren, welche gesellschaftliche und individuelle Bedeutung Kleidung und Mode im Genauen haben. Zum einen stellt sich die Frage, wie sich die heutigen Kleidungsstile im Zuge der zunehmenden Individualisierung unserer Gesellschaft entwickelt haben. Den langen, komplexen Weg von den klaren Kleiderordnungen der vorindustriellen Zeit bis hin zu den heutigen Modephänomenen werde ich allerdings nur kurz umreißen. Stattdessen werfe ich einen zusätzlichen Blick auf die mikrosoziologische Komponente von Kleidung: Welche Beweggründe haben Individuen, sich für einen bestimmten Kleidungsstil zu entscheiden? Welche Rolle spielen hierbei gesellschaftliche Vorgaben und Zwänge?
Mit diesen Erkenntnissen werde ich die Änderung der gesellschaftlichen Konventionen bezüglichen Kleidungsstücken im Zuge der Frauenbewegung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts betrachten. Mehr und mehr wurde es in dieser Zeit selbstverständlich, dass Frauen auch Hosen tragen können. Heute erscheint das in unserem Kulturkreis selbstverständlich. Diese Wende dient mir daher als Vergleichsobjekt, als eine tatsächliche Änderung einer Kleiderordnung in einem vergleichsweise kurzen Zeitraum.
Nun versuche ich, die gewonnenen Informationen auf meine Fragestellung anwenden, um herauszufinden, wieso weibliche Kleidung für Männer immer noch als ein kaum angetastetes Tabu angesehen wird. Sie dienen zumeist nur dazu, einen Mann als Frau darzustellen (Transvestitismus).
Hosen und T-Shirts werden extra für Frauen hergestellt, ob eng anliegend oder mit besonderen Accessoires, welche zur Unterscheidung von Männerkleidung dienen sollen. Aber auch weit geschnittene Hosen und Hemden sind bei Frauen gesellschaftlich voll akzeptiert. Selbst im Sektor der Businesskleidung sind beispielsweise Hosenanzüge inzwischen völlig etabliert.
Wieso also haben sich im Gegenzug nicht auch Röcke und Kleider für Männer in der Alltagswelt durchgesetzt? Praktische Gründe können hierbei so gut wie keine Rolle spielen. Trotzdem sind diese Kleidungsstücke abgesehen von einigen traditionellen Trachten (z.B. dem Kilt in Schottland) und in bestimmten soziokulturellen Milieus (z.B. der Gothic Szene) praktisch alleine zur konkreten Darstellung von Weiblichkeit einsetzbar.
Wieso aber ist dies der Fall? Aus welchem Grund können diese durchaus praktischen Kleidungsstücke nicht in der Männerwelt durchsetzen? Diese Fragen versuche ich zu beantworten, indem ich in einer kurzen Zusammenfassung betrachte, welche Attribute und Verhaltensweisen in der Gesellschaft heute von Männern erwartet werden und was diese von sich selbst erwarten.
Hierbei wird sich zeigen, dass Männer, trotz fortschreitender Gleichberechtigung der Geschlechter, weiterhin die Rolle des starken und durchsetzungsfähigen Menschen einnehmen möchten und sollen. Dagegen steht, dass weibliche Attribute, hier die Kleidung, vielfach immer noch mit Schwäche verbunden werden.
Diese Erkenntnis wird zeigen, inwiefern meine Forschungsfrage einen nicht zu vernachlässigenden Faktor bezüglich der Gleichberechtigung von Frau und Mann beleuchtet.

Männerröcke – Eine soziologische Analyse

Einordnung und Hintergründe geschlechterspezifischer Kleidung

Um zu verstehen, wie es zur fehlenden Akzeptanz für Männer in weiblicher Kleidung kommt, muss zuerst betrachtet werden, welche Bedeutung die Wahl der Kleidung im soziologischen Sinne hat.
Kleidung entwickelte sich schon früh vom rein praktischen Aspekt hin zu einem Medium, welches den Status einer Person widerspiegelte. Nicht nur im militärischen Bereich diente Kleidung als Kommunikationsweg und als Distinktionsmerkmal, auch im zivilen Bereich zeigte sich an der Kleidung eines Menschen dessen Position in der Gesellschaft. Dies galt insbesondere auch für die unterschiedliche Kleidung von Frauen und Männern.
Unter dem starken Einfluss der Kirche vom Mittelalter bis in das 19. Jahrhundert hinein erfüllte die Kleidung der Frauen vor allem den Zweck zu verhüllen. Die Kleidung der Männer hingegen blieb zumeist zweckmäßig, abgesehen von den edlen Kleidungsstücken, die dem Großteil der Bevölkerung nicht zugänglich waren.
Durch die fortschreitende Industrialisierung und Landflucht änderten sich die Lebensverhältnisse vieler Menschen drastisch. Männer beginnen, bewusst auf durch Kleider markierte Sexualität zu verzichten, um zu betonen, dass ihre Männlichkeit so selbstverständlich ist, sie nicht durch die Kleidung verstärkt werden muss. Währenddessen ist die Frau modisch gekleidet. Sie dient damit im weitesten Sinne als Ausstellungsstück des Mannes, als Zeugnis seines Wohlstands. Mode ist damit um die Jahrhundertwende eine rein weibliche Angelegenheit.
Diese dezidiert unmarkierte Geschlechtlichkeit männlicher Kleidungsstücke hat sich in großem Maße bis heute in der Männermode gehalten. Im Kontrast hierzu steht immer noch die klassische weibliche Mode, welche (je nach Epoche mehr oder weniger) die Sexualität und die anatomischen Formen der Frau hervorhebt.
Jedoch gibt es für Frauen inzwischen zahlreiche Kleidungsstücke, die sich ursprüng-lich an Männerkleidung orientieren. So sind unter anderem Hosen und Anzüge für Frauen in diversen Formen und Farben auf dem Markt. Dies war bis in die 60er-Jahre des 20. Jahrhunderts noch höchst ungewöhnlich, die Frau trug stattdessen Kleider und Röcke.

Ermöglichung männlicher Kleidung für Frauen im Zuge der Frauenbewegung

Der heute bei uns völlig normale Anblick von Frauen in Hosen findet seinen Ursprung insbesondere in der Frauenbewegung der 1960er- und 1970er-Jahre. Die Hose war nicht nur ein praktisches Kleidungsstück, sie stand auch seit jeher für Männlichkeit. Nicht umsonst hat sich die Redewendung „die Hosen anhaben“ bis heute in unserer Gesellschaft erhalten.
Der Wille nach Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann führte zwangsläufig auch über die Kleidung, die hier ganz klar als Kommunikationsmedium zu verstehen ist. Die Forderung nach gleichen Rechten in der Familienplanung, auf dem Arbeitsmarkt und in vielen anderen Bereichen der Gesellschaft wurde so unterstrichen. Die Geschlechtlichkeit markierende Symbolik weiblicher Kleidung wurde bewusst vermieden, um die bürgerliche Rolle der Frau in Frage zu stellen. Das Tragen von Hosen symbolisierte den Wunsch der Frauen, sich vom schönen Anhängsel des Mannes mit Qualitäten in Hausarbeit und Kindeserziehung zu emanzipieren, zu einem in allen Lebensbereichen mündigen Menschen mit der freien Wahl von Beruf und Lebensstil. Nicht umsonst umfasst das Klischee der „Emanze“ eine Frau mit weit geschnittener, eher männlich anmutender Kleiderwahl.
Im Zeitraum von etwa 1960 bis heute wurden viele Ziele der Frauenbewegung erreicht, wenn auch längst noch nicht alle. Einen der Wege, der einen zusätzlichen Schub bezüglich der Gleichberechtigung von Frauen und Männern bringen kann, werde ich am Ende dieser Arbeit vorstellen.
Hosen und Hosenanzüge für Frauen haben inzwischen zumindest in den allermeisten Bereichen unserer Gesellschaft Einzug gehalten und werden in den verschiedensten Formen und Farben angeboten. Es gibt kaum Unternehmen, deren Dresscode Frauen das Tragen von angemessenen Hosen untersagt. Auch in der Alltagskleidung finden sich Hosen für Frauen in großer Anzahl. Allerdings lässt sich feststellen, das diese allerdings zum Teil enger geschnitten sind, mit Accessoires verziert wurden, oder auch in Form von Hotpants getragen werden. Dies ist in gewissem Maße wieder ein Weg hin zur markierten Geschlechtlichkeit. Trotzdem haben Hosen den Status der Männerkleidung inzwischen verloren, sie sind ein quasi neutrales Kleidungsstück.

Gesellschaftliche Einordnung von weiblicher Kleidung an Männern

Kleider und Röcke haben dennoch nichts von ihrer Symbolik verloren. Das Tragen dieser Kleidungsstücke ist in unserem Kulturkreis weiterhin ausschließlich Frauen vorbehalten. Dieser gesellschaftlichen Konvention gegenüber stehen nur wenige Ausnahmen, in denen Röcke oder Kleider an Männern als normal angesehen werden.
Zum einen nutzen Männer, die sich als Frauen (ver-)kleiden, hierfür jede Symbole, die eindeutig mit Weiblichkeit verbunden werden. Hierzu gehören vor allem Make-up und solche Kleidung, die exklusiv dem weiblichen Erscheinungsbild zugeordnet werden. Hierfür eignen sich insbesondere Röcke. Dies jedoch zeigt, dass Transvestiten nicht gegen die gesellschaftliche Vorstellung von Männern in Hosen agieren. Im Gegenteil, durch das Verkörpern von Weiblichkeit mit Hilfe von Röcken oder Kleidern manifestiert sich dies als Distinktionsmerkmal zusätzlich.
Des Weiteren finden sich Männerröcke in traditionellen Trachten, am bekanntesten hierbei sind wohl die schottischen Kilts. Diese sind, wie viele andere Trachten, jedoch nicht in der Alltagskleidung anzutreffen.
Dennoch gibt es unter anderem in Deutschland Männer, die aus verschiedensten Gründen eine Vorliebe für das Tragen von Röcken haben. Einige heben die Bequemlichkeit hervor, andere möchten damit ein Zeichen setzen oder ihre Individualität unterstreichen. Das Online-Forum Rockmode.de bietet eine Plattform, über die sich männliche Rockträger über verfügbare Röcke, aktuelle Mode, aber auch über Erfahrungen beim Tragen von Röcken austauschen können. Die Erfahrungsberichte der Rockträger zeigen gut, wie die Reaktionen auf Männer in Röcken in der Alltagswelt darstellen. Hier lassen sich außerdem viele Unter-suchungen machen, welche mikrosoziologischen Hintergründe bei diesem Phänomen bestehen. Einige Zitate der User beleuchten insbesondere negative Reaktionen von Mitmenschen auf ihr Erscheinungsbild:

Ich ernte aber auch oft ‚leicht befremdliche’ Blicke, zumeist von den älteren Herrschaften. Da kannst du das ‚Sowas trägt ein Mann doch nicht’ schon sehr deutlich auf der Stirn lesen. Die Fragestellung, in welche sexuelle Richtung ich nun eingeordnet gehöre (TYPISCH DEUTSCHES SCHUBLADENDENKEN!), beantwortet oftmals die Anwesenheit meiner Frau. (Herr Vater)

Kurz bevor ich den Tresen erreicht hatte, platzte die Dame, um die 40J, Jeans, T-Shirt, willenloser Kurzhaarschnitt, heraus:
‚das geht ja gar nicht!’
Unwillkürlich drehte ich mich um zu sehen, was oder wen sie meint…
Aber sie meinte mich und bekräftigte ‚dass ein Mann einen Rock trägt, geht gar nicht. (cephalus)

Gestern kam mir abends eine eigentlich gut gelaunte Gruppe von jungen Leuten entgegen, vermutlich auf dem Weg zur S-Bahn. Einer hat mich befremdet gemustert und als ich an den meisten vorbei war, hörte ich eine männliche Stimme, die erst laut ‚warte mal’ sagte, dann irgendetwas mit ‚schwul’ und dann rief sie laut hinter mir her ‚Zieh den Rock aus, du V***! (Rockmusiker)

Diese drei aus dem Forum entnommenen Zitate stehen exemplarisch für negative und beleidigende Reaktionen auf Männer, die in der Öffentlichkeit Rock tragen. Einerseits wird von den Passanten hierbei, zum Teil vorwurfsvoll, darauf hingewiesen, dass diese Art der Kleidung nicht gesellschaftskonform sei. Dabei tritt insbesondere die Fokussierung auf traditionale Rollenbilder zu Tage, nach denen Röcke als eindeutiges Merkmal für Weiblichkeit stehen.
Beleidigungen, wie im Zitat des Users Rockmusiker zu lesen, dagegen zeugen einerseits vom Versuch, sich als Teil der Ingroup, die „normal“ ist und Hosen trägt, einzuordnen. Andererseits zeigt sich auch die Unsicherheit, wie ein Mann im Rock denn nun einzuordnen sei. Hierbei wird, wie auch in anderen Berichten innerhalb des Forums oft zu lesen, den Rockträgern Homosexualität unterstellt.
Neben diesen eher negativen Erfahrungsberichten schreiben zahlreiche User allerdings auch von positiven Begegnungen in der Öffentlichkeit:

Ein Schaffner, der gleichzeitig mit mir aus dem Zug gestiegen war, stand eine Weile und starrte mich diskret an. Dann kam auf mich zu:
‚Du bist nicht Schotte’, sagte er, halb fragend, halb feststellend und lächelte.
‚Nein, bin ich nicht’.
‚Das dachte ich ja auch. Aber es ist wirklich selten, dass man einen Kilt sieht. Ich möchte dir aber gerne sagen, dass ich ihn sehr schön finde, und dass er dir gut steht. (GregorM)

Ich laufe die Aachener Straße entlang, als eine Radfahrerin neben mir anhält und sagt: ‚Darf ich Ihnen mal eine indiskrete Frage stellen?’
Ich dachte (habs aber nicht ausgesprochen), jetzt kommt die Frage, was ich drunter trage …. aber nein: ‚Ich finds cool, daß Sie einen Rock tragen. Machen Sie das aus religiösen Gründen oder weil Sie gerne Frauensachen tragen?’
Ich habe ihr dann erkärt, daß weder das eine noch das andere zutrifft, sondern daß ich einfach Spaß daran habe und daß ich Röcke nicht per se als Frauensachen betrachte. (Lars)

Hier zeigt sich, dass auch viele Menschen positiv überrascht von männlichen Rockträgern sind. Es wird aber auch deutlich, dass insbesondere die Frage nach dem „Warum?“ im Vordergrund steht. Erwartet werden von den Gesprächspartnern entweder ein kulturelles („Du bist nicht Schotte“), religiöses oder im weitesten Sinne sexuelles („…oder weil Sie gerne Frauensachen tragen?“) Motiv.
Zusammenfassend lässt sich auch aus der geringen Zahl zitierter Erfahrungsberichte der Schluss ziehen, dass in der breiten Öffentlichkeit das Tragen von Männerröcken auf große Verwunderung stößt, wenn nicht sogar teilweise auf offen bekundete Ablehnung.
Doch wie lässt sich dieses Phänomen, also einerseits der Wunsch, einen Rock zu tragen, aber vor allem andererseits die gesellschaftlichen Reaktionen darauf, im soziologischen Kontext einordnen?

Bedeutung der Erkenntnisse im Kontext der aktuellen Forschung

Am deutlichsten lassen sich die Ergebnisse einordnen, betrachtet man den momentanen Stand im Fachbereich der Männerforschung, einem Teilgebiet der Genderforschung.
Die Fachrichtung beschäftigt sich, eng mit der feministischen Forschung verbunden, mit der Rolle von Männern im mehr und mehr gleichberechtigten Verhältnis von Frau und Mann. Sie fokussiert sich insbesondere auf die Veränderung männlicher Lebensweisen in der momentanen Gesellschaft und auf die Möglichkeiten von Männern, sich in der heutigen Lebenswelt auszudrücken und zu identifizieren. Es sollte allerdings nicht unerwähnt bleiben, dass hierbei in einigen Fällen auch darauf abgezielt wird, die männliche Hegemonie aufrechtzuerhalten beziehungsweise wiederherzustellen.
Dennoch ist es die Männerforschung ein berechtigter Forschungszweig, um heraus-zufinden, auf welche Identitäten sich Männer im Zuge einer sich annähernden Gleichberechtigung der Geschlechter berufen werden. Frühere Alleinstellungsmerkmale des Mannes wie unmarkierte Geschlechtlichkeit, Familienunterhalt oder auch die Verkörperung von Stärke und Entscheidungsgewalt wurden und werden von Frauen zunehmend gleichberechtigt beansprucht und verlieren damit ihren männlichen Symbolcharakter.
Das Tragen von Röcken ermöglicht in diesem Kontext, sich bewusst ein Stück weit von den sozial konstruierten Differenzen zwischen Frau und Mann zu distanzieren. Es wird hervorgehoben, dass ein Mann auch ohne explizit männliche Symbolik ein authentisches Selbstbewusstsein zeigen kann. Damit wird Geschlechtlichkeit gewissermaßen dekonstruiert, der Mann identifiziert sich so primär als Mensch.

Etablierung von Röcken und Kleidern für Männer als Fortschritt für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern

Wie ich bereits gezeigt habe, gibt es vielfältige Reaktionen auf Männer, die in der Öffentlichkeit einen Rock tragen. Die wohl einprägsamste stammt meiner Meinung nach aus dem in ersten Teil zitierten Blogeintrag: „Sie beleidigen Frauen!”.
Diese Aussage zeigt eindrucksvoll, welche Probleme und Missverständnisse auftreten können, sobald ein Mann ohne für Außenstehende ersichtlichen Grund einen Rock trägt. Doch diese Wahl der Kleidung sollte nicht als Beleidigung gegenüber dem weiblichen Geschlecht gesehen werden. Vielmehr sehe ich in ihr einen Weg, immer noch bestehende Geschlechterungleichheiten zu vermindern.
So wie die gesellschaftliche Legitimation von Damenhosen als Teil einer Dekon-struktion von geschlechterspezifischen Kleidernormen gesehen wird, so trüge auch eine breite gesellschaftliche Akzeptanz von Männerröcken dazu bei. Während bei ersterem die Männer eine passive, allenfalls akzeptierende Rolle gespielt haben, so wäre eine weiter verbreitete Zustimmung und Benutzung von Männerröcken ein aktiver Beitrag der Männer zur Verminderung immer noch bestehender Defizite bei der Gleichberechtigung der Geschlechter.
In dieser Hinsicht zuversichtlich stimmt der Trend, dass immer mehr Bekleidungsgeschäfte und Online-Warenhäuser Röcke speziell für Männer in ihrem Sortiment führen. Auch die Präsenz von Röcken in verschiedenen sozialen Gruppen, wenn auch meist in Form einer Tracht oder als eine Art gruppenspezifischer Kostüme nimmt weiter zu. Zu diesen Gruppen zählen beispielsweise Mittelaltergruppen, Mitglieder aus der Metal-Szene oder Teile der Schwarzen Szene.
Des weiteren bemerkenswert ist eine Protestaktion schwedischer Bahnmitarbeiter, über welche im Juni 2013 in den Medien berichtet wurde. Nachdem die Bahngesellschaft Arriva ihren Mitarbeiten das Tragen kurzer Hosen untersagte, entschlossen sich mehrere Lokführer, stattdessen Röcke zu tragen. Auch wenn dies als, letztendlich erfolgreiche, Protestaktion zu bewerten ist, so zeigt sich doch, dass eine Gleichberechtigung der Geschlechter bezüglich dem Tragen von Röcken langsam aber sicher Einzug in den gesellschaftlichen Diskurs hält.

Abschießend lässt sich sagen, dass Männer in Röcken noch immer eine absolute Seltenheit darstellen und ihnen dementsprechend auch noch oft mit deutlichem Misstrauen entgegengekommen wird. Dennoch zeigen sowohl die oben zitierten positiven Erfahrungsberichte der Rockträger, als auch die Fortschritte in der Modebranche, dass Schritt für Schritt mehr Akzeptanz für männliche Rockträger entsteht.

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Quellenverzeichnis

  • Prattes, Ulrike: Junge Männer und Feminismus : Ein Sozialanthropologischer Blick Auf Männlichkeitskonstruktionen Im
    Kontext Österreichs. Berlin: Springer DE, 2011
  • Spiegel Online: Luftiger Protest in Stockholm : Lokführer tragen Rock im Dienst, 10.06.2013, (Link, abgerufen am 15.09.2013)
  • Gugutzer, Robert: Soziologie des Körpers. 4. Aufl.. Bielefeld: transcript Verlag, 2004
  • Villa, Paula-Irene: Sexy Bodies. Berlin: Springer DE, 2011
  • Theunert, Markus: Männerpolitik : Was Jungen, Männer und Väter stark macht. 2012. Aufl.. Wiesbaden: VS Verlag für
    Sozialwissenschaften, 2012
  • Vinken, Barbara: Frau als Mann als Frau: Mode als cross-dressing, in Freiburger Frauenstudien, 1/1999
  • Online-Forum Rockmode.de (abgerufen am 12.09.2013)
  • Stein-Hilbers, Marlene: Männer und Männlichkeit in der neueren sozialwissenschaftlichen Diskussion, in Psychologie und
    Gesellschaftskritik 18, 1994
  • Marschik, Matthias; Dorer, Johanna: Kritische Männerforschung: Entstehung, Verhältnis zur feministischen Forschung, Kritik, in SWS-Rundschau 41, 2001
  • Villa, Paula-Irene; Meili, Barbara; Graf, Iris: Die „Frau“ oder den „Mann“ gibt es realiter überhaupt nicht, in Soz:Mag : das Soziologie-Magazin 8/2005
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