Anschauliche Geschichtsvermittlung

Ein Abend mit Ronen Steinke über Fritz Bauer im NS-Dokumentationszentrum

Der Umgang mit Fritz Bauer und die Entstehung des NS-Dokumentationszentrums in München ähneln sich. Verschwand der überzeugte jüdische Naziankläger nach seinem plötzlichen Tod 1968 sehr schnell in der Brache des Umgangs der Zeit zwischen 1933 und 1945, dauerte es bis 2001, eine Gedenkstätte im intellektuellen Zentrum des braunen Regimes zu errichten. Weitere 14 Jahre sollten ins Land verstreichen, bis das NS-Dokumentationszentrum am heutigen Max-Mannheimer-Platz unweit des Königsplatzes eröffnet wurde. Wahrlich kein Ruhmesblatt für die Stadt, die auch darüber hinaus sehr lange brauchte, um einen Umgang mit ihrer Geschichte ab Mitte der 1920er Jahre zu finden. Ein Prozess, der heute noch nicht abgeschlossen ist.
Es ist kein Zufall, dass zwischen dem wiederentdeckten Fritz Bauer 2013 und der Eröffnung des Erinnerungsortes 2015 gerade mal zwei Jahre liegen.

War das NS-Dokumentationszentrum zu Beginn ein programmatischer Fremdpunkt in der Stadt (was gewiss auch mit üblichen Anfangsschwierigkeiten zu tun hat), gelang es der Direktorin Mirjam Zadoff sehr schnell, es in der Stadtgesellschaft zu verankern und ihm wichtige mediale Öffentlichkeit zu geben. Das Verdienst, das Ronen Steinke an der Rezeption Fritz Bauers hat, ist vergleichbar.
Deshalb passte es hervorragend, dass Ronen Steinke gestern Abend im NS-Dokumentationszentrum das Leben und Wirken Fritz Bauers darstellte.

Zu Beginn erzählte Ronen Steinke, Jurist und Journalist, wie er im Studium auf ein Zitat Fritz Bauers stieß, das fortan seine Motivation, es erfolgreich abzuschließen, förderte – und nichts zu ihm fand. Er verzichtete darauf, in epischer Breite auszuführen, wie mühevoll es war, sich mit dem Leben und Wirken Bauers zu beschäftigen, um sich ein Bild von ihm zu machen und es in die Öffentlichkeit zu tragen.
Die Wichtigkeit, dass Bauer Jude war, hob er dabei immer wieder hervor. Im Verlauf des Vortrags stellte er anhand von Zitaten aus Briefen und Interviews dar, wie sich sein Jüdischsein veränderte. Noch im Exil nach 1945 sprach er vor jüdischen Gruppierungen. Als Staatsanwalt nach 1949 definierte er sich nur noch als Jude „nach den Nürnberger Gesetzen“. Seine schon früher nach Deutschland zurückgekehrten Parteifreunde Willy Brandt und Kurt Schumacher sahen sich nicht imstande, ihm mitzuteilen, dass die Bundesrepublik noch nicht für einen jüdischen Juristen in der Justiz bereit war. Es waren die Amerikaner, die ihn mit dieser Wahrheit konfrontierten. Folglich unternahm er alles, um nicht den Eindruck zu erwecken, dass ein Jude Nazis vor Gericht brachte.
Dass er bei den Auschwitz-Prozessen darauf achtete, auch Häftlingskleidung verteilende KZ-Mitarbeiter auf die Anlagebank zu setzen, dokumentiert die Systematik des fabrikhaften Massentötens, an dem viele Menschen beteiligt waren.
Für einen Generalstaatsanwalt hatte er sehr viel mediale Präsenz. Ein Zuhörer erinnerte sich, dass die Prozesse sehr viel Raum im Fernsehen bekamen.
„Ich teile Ihre Ratlosigkeit“, antwortete Steinke auf die Frage, wie es passieren konnte, dass Bauer nach seinem Tod so schnell in Vergessenheit geriet. Im Gegensatz zur Todesursache, die ziemlich klar ist (Herzversagen), kann man nur spekulieren. Womöglich haben sich die jungen Staatsanwälte, die er für die Frankfurter Auschwitzprozesse eingeteilt und wofür eigene Räume angemietet hatte, weil er nicht wollte, dass ältere Kollegen Akten verschwinden lassen, verprellt. Er konnte nicht nachvollziehen, dass das öffentliche Kreuzfeuer für sie sehr belastend war, diese Prozesse nicht karrierefördernd waren und nahm ihre Bedenken und Wünsche nicht ernst. Die linke Studierendenbewegung in Frankfurt, die ihm während ihrer Anfänge sehr zugewandt war, wandte sich von ihm ab, als er die die Kaufhausanschläge verurteilte.

Dass er junge Menschen für sich gewinnen konnte, zeigt das Gespräch im Frankfurter Kellerclub 1964.

Ohne auf sein Privatleben einzugehen, dass zumindest während seiner Zeit als hessischer Generalstaatsanwalt sehr reduziert stattfand, zeichnete Ronen Steinke ein sehr detailliertes Bild von Fritz Bauer.

Kurzum: Es war ein hervorragender Vortrag! Inhaltlich schlüssig, rhetorisch vollendet. Wissen und das in wichtige Arbeit zu investieren, sind das eine, das vermitteln zu können zu sein, das andere.
Wenn Sie die Gelegenheit haben, einem Vortrag oder einer Lesung Ronen Steinkes zu Fritz Bauer, Klassenjustiz oder Verfassungsschutz beizuwohnen, nutzen Sie sie! Sie müssen nicht Jura oder Geschichte studiert haben, weil Steinke sehr anschaulich und den Zuhörenden zugewandt sein Wissen vermittelt. Geschichtsvermittlung, wie man sie sich nur wünschen kann.

Danach dürfen Sie auch ein Selfie mit ihm machen, wenn Sie wollen. Lieber dürfte es ihm jedoch sein, wenn Sie eines seiner Bücher kaufen…

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Auf dem Heimweg stieß ich auf die Polizeistreife, die vor dem benachbarten Generalkonsulat Israels steht. Rund um die Uhr wird es geschützt. Es versetzt mir jedes Mal einen Stich. Nach dem gestrigen Abend noch ein bisschen mehr als sonst.

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Links:
Ronen Steinke auf Twitter, Mastodon und in der Süddeutschen Zeitung
Fritz Bauer auf Wikipedia
Fritz-Bauer-Institut

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