Abschied zwischen Realismus und Emotionen

Als Felix Magath 2004 beim FC Bayern begann, wollte er Bastian Schweinsteiger nicht gekannt haben. Es war wahrscheinlich nur eine gezielte als Motivation beabsichtigte Provokation, mit der er ihn für drei Spiele erst einmal zu den Amateuren schickte. Nach einer EM, bei der er neben Lukas Podolski und Philipp Lahm zu den wenigen Lichtblicken eines ansonsten enttäuschenden Turniers gehört. (Wer erinnert sich nicht an das 0:0 gegen Lettland?)
Aber es waren andere Zeiten. Man war als Nationalspieler nicht automatisch Stammspieler im Verein, und man zeigte stolz zu fortgeschrittener Stunde, weil sich tagsüber zu viele Funktionäre Fans und Funktionäre am Gelände aufhalten, der jüngeren weiblichen Verwandtschaft die beeindruckende Infrastruktur des Vereins. Sicher eine Form von Stolz gepaart mit jugendlichem Leichtsinn, der sich optisch gerne in gewagten Frisuren ausdrückt. Die Presse war begeistert, Uli Hoeneß weniger, wie wenig später ebenda zu lesen war. Das „Gebetbuch“, wie es sein Förderer Hermann Gerland einmal formulierte, war seine Sache nicht.

Mit Magath, der wahrscheinlich nur dann ausgelassene Freude empfindet, wenn der grüne Tee en minute gezogen ist, konnte es nichts werden. Jugendliche Spielfreude, die nicht auf blindem Gehorsam fußt, verträgt sich nur schwer mit der Vorstellung von beliebig verschiebbaren Schachfiguren. 23 von 75 durchgespielten Bundesligaspielen standen nach den zweieinhalb Jahren zu Buche.
Unter Ottmar Hitzfeld und Jürgen Klinsmann wurde es leider kaum besser, sieht man von eindrucksvollen Spielen und Toren gegen Portugal im Zweijahresrhythmus ab. Meine Prognose „Dieses Jahr packt er’s aber!“ wurde meistens nach einigen Spieltagen Jahr um Jahr auf die nächste Spielzeit verschoben. Ich verzweifelte nicht, weil er mir zu sehr Schweini war, aber verstehen konnte ich das Stagnieren nicht.

Louis van Gaal überraschte mich unmittelbar nach den ersten Trainingseinheiten 2009 mit der Aussage, dass Schweinsteiger nach Mark van Bommel und Philipp Lahm der dritte Kapitän sei. Die Begründung lieferte er nach meinen skeptischen Gedanken prompt nach: weil er schon so lange im Verein sei. Das bestätigte meine Zweifel, und ich hatte die Hoffnung, dass aus ihm noch etwas werden könnte, eigentlich schon aufgegeben. Wenigstens gab sich der neue Trainer höflich.
Doch der eitle Holländer, den die Vereinsfunktionäre Jahre später immer noch so darstellen wie die CSU die Opposition und andere Linksradikale, redete nicht nur gerne und ausführlich, sondern hatte eine Idee vom Fußballspielen, die er seinen Spielern – bis auf Franck Ribéry vielleicht – sogar vermitteln konnte. Für Bastian Schweinsteiger hatte er eine sinnvolle Aufgabe, indem er ihn von der Außenbahn in die Zentrale beorderte. Unter Joachim Löw und Jupp Heynckes in seiner zweiten Amtszeit, in der es lediglich um Schadensbegrenzung ging, durfte er bereits auf der Sechs spielen, aber das blieb eine Randnotiz.
An der Seite von Mark van Bommel wurde aus Schweini binnen weniger Spiele Schweinsteiger. Sinnloses Rennen übers Spielfeld wich Übersicht und Passgenauigkeit. Dieser Versetzung nach holprigem Saisonstart folgte die bis dato spielerisch beste Phase die ich als Fan in 25 Jahren erleben durfte. Sie mündete nur knapp nicht im Triple. Es folgte sein bestes Turnier in der Nationalmannschaft. Über den ARD-Brennpunkt nach Michael Ballacks schwerer Verletzung blicke ich gerne amüsiert zurück. Es war auch die Zeit, in der sich der Öffentlichkeit abseits des Fußballplatzes entzog und mit 25 so etwas wie ein Elder Statesman wurde. Die das Untermauernde grauen Haare wuchsen erst später.
Es folgte eine Saison, in der wegen einiger Verletzter wenig klappte, sein Seniorpartner van Bommel verließ im Winter fluchtartig die Stadt, und wenig später wurde van Gaal in einer denkwürdigen Pressekonferenz mit Schimpf und Schande vom Hof gejagt. Der einzige Höhepunkt war die vor 69000 Zuschauern im Stadion und rund einer Million Pay TV-Abonnenten verkündete Vertragsverlängerung bis 2016.

Auf der Höhe seiner Schaffenskraft, Jupp Heynckes war inzwischen zurückgekehrt, nahmen leider Schweinsteigers Verletzungen zu. Häufig entstand der Eindruck, auf dem Platz quält sich einer für seine Mannschaft, für seinen Verein. Von wegen „Chefchen“! Wahrscheinlich sollte es so sein, dass er den entschiedenen Elfmeter im unseligen Finale dahoam verschoss. Andere trauten sich den Gang zum Punkt gar nicht erst zu. Er opferte sich, wurde zum tragischen Helden. Es heißt, dass nur Titel zählen. Eine schlimme Niederlage anzunehmen, ist ungleich schwieriger. Womöglich wurde er in diesen Sekunden das, was man gerne als „erwachsen“ bezeichnet.
Sichtlich gezeichnet schleppte er sich durch das nächste große Turnier.
Jupp Heynckes erkannte dies und gab Schweinsteiger das Signal, er solle sich die Zeit, die er benötige, nehmen, um wieder fit zu werden. Er setze auf ihn. Im Herbst kehrte er zurück und trug wesentlich zur erfolgreichsten Saison seines FC Bayern bei. Ein Jahr, in der sich die Mannschaft den gesamten Frust des Vorjahres von der Seele spielte. Nach dem Gewinn des Europapokals war keine kindliche, keine Schweini-Freude bei ihm zu sehen. Nur Erleichterung und Dankbarkeit, für die Leiden der 12 Monate zuvor endlich entschädigt worden zu sein. Das Gerede, dass die Mannschaft um Lahm und Schweinsteiger keine große Titel gewinnen könne, verstummte endlich. Ausgelassen wurde es eine Woche später, als der DFB-Pokal die Sammlung komplettierte.
Nach dieser Saison kaufte ich mir ein Trikot mit seinem Namen auf dem Rücken.

Pep Guardiola kam, und es begann sich im Spiel wieder einiges zu ändern. Schweinsteiger hatte seinen Platz sicher, die Position wechselte, wenn er nicht gerade wieder verletzt war. Zwischendurch wurde er Weltmeister und hatte alles erreicht, was man mit seinem Verein und seiner Nationalmannschaft erreichen konnte.
Zu meiner Überraschung trat nicht er zurück, sondern Philipp Lahm. Ich habe es bis jetzt noch nicht verstanden. Doch sein Ehrgeiz, als Kapitän noch einen Titel zu holen – die Europameisterschaft fehlt ihm noch –, scheint sehr groß zu sein.

So ist es, trotz aller kolportierten Unstimmigkeiten mit Guardiola, logisch, dass er, schon länger in Würde ergrauend, mit 30 Jahren ein großes Abenteuer wagt.
Schweinsteigers Lehrmeister van Gaal vereinfachte sicher den Schritt von seinem Verein weg auf die Insel. Es beruhigt meine kleine Fanseele, dass er nicht zu Irgendjemandem geht, sondern einem Trainer folgt, der weiß, was er an ihm hat. (Ich hoffe nur, dass er in Manchester kein gutes Restaurant mit bayerischer Küche findet, weil Thomas Müller eventuell doch noch schwach werden könnte.) Bleibt er von Verletzungen verschont, kann er Kopf einer sich im Umbruch befindlichen Mannschaft werden – und läutet damit selbst den anstehenden Umbruch beim FC Bayern ein.

In den letzten Tagen drängte sich der Eindruck auf, dass die Verantwortlichen über seine Entscheidung erleichtert sind. Aus sportlichen wie wirtschaftlichen Gründen ist es nachvollziehbar, dass sie wenig Lust verspürten, seinen Vertrag nennenswert zu verlängern. Für den Fan, der der seinen Emotionen freien Lauf lassen darf, ist es schmerzhaft, wenn einer der Protagonisten, nein, der Fußballgott einer großen Mannschaft von Bord geht. Andererseits bleiben uns lange öffentliche und hitzige Diskussionen über wahrscheinliche Nicht-Aufstellungen und sich hinziehende Vertragsgespräche erspart. Womöglich erkannte er das, was wiederum für Reife und und ein intaktes persönliches Umfeld spricht. (Uli Hoeneß kann da sicher aus dem Nähkästchen plaudern.)
Es hätte nicht so eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Abschiedspressekonferenz wie im Frühjahr in Dortmund bei Jürgen Klopps Kündigung sein müssen, dennoch wäre ein wenig Pathos am Samstag angemessen gewesen. Aber dafür stehen der scheinbar weltgewandte Karl-Heinz Rummenigge und der immer nach vorne orientierte Matthias Sammer nicht. Die Abteilung „Familie und Empathie“ ist seit dem Rücktritt Hoeneß‘, der den Wechsel nicht hätte verhindern können, vakant. (Vielleicht muss man einfach froh sein, dass der Abschied nicht so unwürdig ist wie der Iker Cassilas‘ in Madrid dieser Tage.) Da nicht absehbar ist, wer kurzfristig die Stelle besetzen kann, steht Schweinsteiger die Möglichkeit offen, sie nach dem Ende seiner Karriere einzunehmen.

Am Ende des Tages kann ich nur konstatieren, dass ich für die Scheiß Emotionen verantwortlich bin, die mich mit dem Abschied begleiten. Bastian Schweinsteiger steht nicht nur für den größten Erfolg, den ich als Fan erleben durfte, sondern auch für eine Mannschaft, die das Triple mit den Eigengewächsen Philipp Lahm, Diego Contento, Holger Badstuber, David Alaba, Thomas Müller, Toni Kroos und eben ihm gewonnen hat.

Ich bedanke mich für eine tolle wie intensive Zeit. Mögen die bevorstehenden Jahre in Manchester ganz großes Tennis werden!
Bis zum Abschiedsspiel verabschiede ich mich mit einem herzlichen Oberaudorf!

2 Gedanken zu “Abschied zwischen Realismus und Emotionen

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